19.08.2016

Kompetenzfeststellung: Verfahren und Instrumente

Carolin Kunert

Kompetenzfeststellungsverfahren sind im Übergang Schule-Beruf in Deutschland etwa seit Mitte der 90er Jahre im Einsatz. Sie wurden zunächst primär für (benachteiligte) Jugendliche mit ungünstigen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eingeführt. Seitdem haben sich Berufsorientierungslandschaft und Berufsorientierungsverständnis nachhaltig verändert.

Wurde man „früher“ häufig erst aktiv, wenn das „Kind schon in den Brunnen gefallen war“, so beginnt Berufsorientierung heute in der Regel schon spätestens in Klasse 7 an allgemeinbildenden Schulen. Auch deswegen gibt es inzwischen eine Vielfalt unterschiedlicher Verfahren und Instrumente der Kompetenzfeststellung für unterschiedliche Zielgruppen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Die Abbildung veranschaulicht verschiedene typische Schritte im Berufsorientierungsprozess bis zum Übergang in Ausbildung/Studium, die regional unterschiedlich ausgestaltet sein können.

Klick zum VergrößernPotenzialanalyse und Kompetenzfestellung im Übergang Schule-Beruf

Die Abbildung zeigt auch, dass Kompetenzfeststellungen oder Potenzialanalysen zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Übergang Schule-Beruf platziert sein können. Davon wie auch von den institutionellen Rahmenbedingungen und der Zielgruppe hängt ab, mit welcher Zielsetzung und welchem Schwerpunkt eine Kompetenzfeststellung eingesetzt wird.  So zielt eine Potenzialanalyse mit Schülerinnen und Schüler der Klasse 7  sehr viel weniger auf die Ermittlung konkreter Berufswünsche als eine Eignungsanalyse im Rahmen einer BVB-Maßnahme, bei der es neben dem „Fit machen“ für die Ausbildung eben auch darum geht, die beruflichen Perspektiven zu konkretisieren. In der Berufsorientierung und am Übergang Schule-Beruf lassen sich Kompetenzfeststellungsverfahren also überwiegend zwei Schwerpunkten zuordnen:

a) Potenzialanalysen in der frühen Berufsorientierung

werden in der Regel mit Schülerinnen und Schülern allgemeinbildender Schulen in in Klasse 7 oder 8 durchgeführt. Sie unterstützen dabei, fachübergreifende Kompetenzen, noch verborgene Talente und persönliche Interessen zu entdecken und Entwicklungen anzustoßen. Die Potenzialanalyse will Erfolgserlebnisse vermitteln und Mut machen, die eigene berufliche Zukunft in die Hand zu nehmen. Um die Eignung für bestimmte Berufe geht es ausdrücklich nicht. Potenzialanalysen dieses Typus sind z.B. Bestandteil des Berufsorientierungsprogramms des BMBF und vieler Landeskonzepte zur schulischen Berufsorientierung.

b) Kompetenzfeststellungen zur Berufsvorbereitung

und zur Eingliederung in Ausbildung und Arbeitsmarkt, bei denen Potenziale nicht primär mit dem Ziel der persönlichen Kompetenzentwicklung des Einzelnen erhoben werden. Hier steht die Eingliederung in Ausbildung und Beschäftigung im Fokus der Maßnahmen. Deswegen sind Kompetenzfeststellungen zu diesem Zeitpunkt auch stärker auf Anforderungen von Ausbildungs- und Arbeitswelt ausgerichtet. Dementsprechend heißt sie z.B. im Rahmen der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen nach §51 ff SGB III auch Eignungsanalyse.

Anforderungs- und subjektorientierte Verfahren

Diese beiden Formen der Kompetenzfeststellung unterscheiden sich nicht unbedingt stark bei den eingesetzten Instrumenten und Verfahren. Vielmehr liegen die Unterschiede primär in den Anteilen von Anforderungs- bzw. Subjektorientierung. Wenn die Anforderungen z. B. eines bestimmten Berufsfelds im Vordergrund stehen, dann besteht der Zweck des Verfahrens darin zu untersuchen, inwiefern die Kompetenz der Person mit den Anforderungen übereinstimmt (bzw. von ihnen abweicht). Anforderungsorientierte Verfahren verlaufen häufig standardisiert, sie messen Kompetenzen möglichst objektiv. Subjektorientierte Konzepte und Perspektiven sehen Berufsorientierung als Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung, sie zielen auf die Entwicklung eines (beruflichen) Selbstkonzepts und eine eigenverantwortliche Biografiegestaltung. Sie konzentrieren sich auf die Person und ihre Erfahrungen und geben viel Freiraum für Selbstreflexion.

Subjekt- bzw. Anforderungsorientierung schließen sich nicht aus, sie können sich vielmehr gut ergänzen. So werden auch in Instrumenten, die eine subjektorientierte Perspektive einnehmen, anforderungsorientierte Verfahren verwendet – z. B. bei der kriteriengeleiteten Beobachtung und Bewertung in handlungsorientierten Verfahren. Auch im Rahmen von Konzepten, die an der Entwicklung der Persönlichkeit ausgerichtet sind, können junge Menschen Anforderungen aus der Arbeitswelt kennenlernen und sich aktiv mit ihnen auseinandersetzen.

Qualitätsstandards

Im Übergang Schule-Beruf gelten die Qualitätsstandards für Verfahren zur Kompetenzfeststellung von Petra Druckrey als allgemein anerkannt. Neuere Qualitätsstandards wie z.B. die, die für die Durchführung von Programmen zur Berufsorientierung des BMBF gelten, bauen auf diesen auf. Kern der Qualitätsstandards sind einzuhaltende pädagogische Prinzipien und Kriterien der Systematischen Verhaltensbeobachtung.

  • Petra Druckrey: Qualitätsstandards für Kompetenzfeststellungsverfahren (PDF)
    Petra Druckrey zeigt insgesamt 20 wichtige Qualitätsstandards auf, die im Rahmen der Kompetenzfeststellung eingehalten werden sollten. Dazu zählen beispielsweise der Lebens- und Arbeitsweltbezug der Verfahren als pädagogisches Prinzip, die schriftliche Ergebnisdokumentation zur Gewährleistung einer professionelle Umsetzung des Verfahrens sowie die Rotation der Beobachterinnen und Beobachter zur Vermeidung subjektiver Eindrücke bei einer systematischen Beobachtung.

Elemente der Kompetenzfeststellung

Auf dem Markt gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Verfahren, die mit leichten Anpassungen sowohl in der frühen Berufsorientierung als auch in der Berufsvorbereitung zum Einsatz kommen. Sie unterscheiden sich u.a. im zeitlichen Umfang und in der Zusammenstellung der Aufgaben(typen). Typisch für Kompetenzfeststellungsverfahren im Übergang Schule-Beruf sind folgende Elemente:

Handlungsorientierte Aufgaben

Im Mittelpunkt vieler Verfahren stehen sogenannte handlungsorientierte Aufgaben, die nach den Kriterien der Systematischen Beobachtung festgestellt und bewertet werden. In handlungsorientierten Aufgaben müssen die Teilnehmenden selbst organisiert Aufgaben bewältigen. Geschulte und erfahrene pädagogische Fachkräfte beobachten sie dabei systematisch nach vorab definierten Kompetenzmerkmalen. Zu den handlungsorientierten Aufgaben gehören an Assessment-Center angelehnte Verfahren und Arbeitsproben, aber auch Methoden aus der Erlebnispädagogik oder dem Sozialtraining.

Schülerinnen und Schüler bei der Potenzialanalyse des Berufsorientierungsprogramms
Bild: Annegret Hultsch/Berufsorientierungsprogramm

Der Begriff der Handlungsorientierung unterstreicht, dass die Bewältigung der in den Übungen gestellten Aufgaben kompetentes Handeln erfordert. In der Abbildung sieht man ein Beispiel für eine klassische Konstruktionsaufgabe in der Gruppe im Rahmen der Potenzialanalyse des Berufsorientierungsprogramms. Beobachtet werden können hier Merkmale wie: Teamfähigkeit, Problemlösungskompetenzen oder Motivation.

Selbst-und Fremdeinschätzung

Zu jeder Kompetenzfeststellung gehören Verfahren zur Selbst-und Fremdeinschätzung der gezeigten Kompetenzen. Hier geht es um eine Gegenüberstellung der eigenen Wahrnehmung mit den Einschätzungen der durchführenden pädagogischen Fachkräfte. Dies geschieht nach den einzelnen Aufgabenstellungen und im abschließenden Feedbackgespräch. Damit die Einschätzungen wirklich miteinander verglichen werden können, sollten sie sich an den im Rahmen der handlungsorientierten Aufgaben untersuchten Kompetenzmerkmalen orientierten. Es gibt auch Verfahren, die Feedback von Peers in das Stärkenprofil einfließen lassen (z.B. der Berufsnavigator).

  • Berufsnavigator „Potenzialanalyse“
    Die Berufsnavigator „Potenzialanalyse“ setzt sich aus vier Modulen zur Kompetenzfeststellung zusammen: Zunächst durchlaufen die Schülerinnen und Schüler einen Potenzial- und Berufsfeld-Parcours mit handlungsorientierten Aufgaben. Danach erfolgt ein Peer-Rating, anhand dessen ein Stärkenprofil erstellt wird. Die persönlichen Stärken der Jugendlichen werden anschließend mit den Anforderungsprofilen der staatlich anerkannten Berufsfelder verglichen. Zum Schluss werden in einem individuellen Auswertungs- und Beratungsgespräch die gemachten Erfahrungen resümiert und persönliche Handlungsempfehlungen entwickelt.

Erkundung beruflicher Interessen und Neigungen

Eine erste Erkundung beruflicher Interessen und Neigungen gehört auch zum Standard der meisten Kompetenzfeststellungsverfahren. Hier kann man sehr viele verschiedene Wege gehen, sich z.B. für einen der am Markt erhältlichen Interessenstests entscheiden (z.B. geva oder AIST-R) oder berufliche Interessen im Dialog/in der Reflexion der gezeigten Fähigkeiten thematisieren. Das Mittel der Wahl hängt wiederum von Zielen und Zielgruppen ab. Je näher der Eintritt in Arbeitsmarkt oder Ausbildung liegt, desto größer wird der Stellenwert der Erkundung beruflicher Interessen sein. Ergebnisse aus gängigen Interessenstests sollten in jedem Fall gründlich mit den jungen Menschen besprochen werden.

Biographieorientierte Verfahren

Größere Abweichungen gibt es hinsichtlich des Einsatzes biographieorientierter Verfahren und von kognitiven Tests. Biographieorientierte Verfahren würdigen die Lebensgeschichte der teilnehmenden jungen Menschen. Gemeinsam werden hier bisherige Stationen und Tätigkeiten ressourcenorientiert und im Hinblick auf darin zum Ausdruck kommende Interessen und Fähigkeiten reflektiert. Das kann sowohl über eine gruppenorientierte Kompetenzbilanzierung als auch über ein individuelles Einzelinterview passieren.
Wichtig in diesem Rahmen: der Fokus auf Stärken und Erfolge und der Bezug zum Thema Berufsorientierung. Gerade im Rahmen der Arbeit mit neu Zugewanderten scheint dieser Bestandteil in der Potenzialanalyse unverzichtbar, muss aber aufgrund möglicher Traumatisierungen mit besonderem Fingerspitzengefühl umgesetzt werden.

  • ProfilPASS für junge Menschen
    Der ProfilPASS für junge Menschen bietet eine Zusammenstellung verschiedener biographieorientierter Verfahren. Er hilft Jugendlichen dabei, sich in der unübersichtlichen Optionsvielfalt der modernen Lebens- und Berufswelt zurechtzufinden, indem er persönliche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen sichtbar macht. Die Ermittlung der Kompetenzen geschieht dabei durch eine Mischung aus Selbst- und begleitender Fremdeinschätzung mit professionellen ProfilPASS-Beraterinnen und Beratern.

Kognitive Tests

Kognitive Tests sind, stark abhängig von der Zielsetzung der Kompetenzfeststellungen, sinnvolles oder weniger sinnvolles Element einer Kompetenzfeststellung. Im Rahmen der frühen Berufsorientierung geht es auch um eine Abgrenzung vom schulischen Alltag, in dem die kognitiven Möglichkeiten der Jugendlichen ohnehin laufend auf dem Prüfstand stehen. Hier ist ihr Einsatz nicht zu empfehlen. Anders bei der bereits angesprochenen Eingangsdiagnostik für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche, die in die „richtige“ Klasse eingeordnet werden sollen. Zu diesen Testverfahren zählen beispielsweise gängige Intelligenztests, Logiktests oder Tests zu mathematischem Verständnis.

Feedback und Dokumentation der Ergebnisse

Zum festen und wichtigen Bestandteil aller Verfahren gehören das (individuelle) Feedback und die Dokumentation der Ergebnisse. Zum Teil ist die Dokumentation in gängige Portfolioinstrumente integrierbar.
Beispiele für solche Instrumente sind:

  • Der Berufswahlpass
    Im Berufswahlpass dokumentieren und belegen die Jugendlichen ihre Schritte zur ersten Berufswahlentscheidung, ihre Stärken, Fähigkeiten, Interessen und Ziele. Dabei ordnen sie Materialien und Informationen sinnvoll an, so dass sie bei Bewerbungsverfahren schnell und sicher wiederzufinden sind.
  • Der Qualipass Baden-Württemberg
    Der Qualipass hält Praxiserfahrungen und Kompetenzgewinne fest, die durch ehrenamtliches Engagement in der Schule, in Vereinen, im Gemeinwesen oder in Projekten, durch Kurse, Auslandsaufenthalte, Praktika oder berufliche Weiterbildungsangebote erworben wurden.
  • Die Jobmappe NRW
    Die Jobmappe ist speziell für Nordrhein-Westfalen entwickelt worden. Das Instrument hilft jungen Menschen im Übergang Schule - Beruf, ihren Ausbildungs- und Berufsweg zu planen und ihre Lernergebnisse zu dokumentieren. Berufskollegs und Bildungsträger nutzen die Jobmappe NRW zur individuellen Förderung.