12.04.2011

Assistierte Ausbildung - ein Zukunftsmodell

Das Projekt "carpo"als Beispiel guter Praxis

von Petra Lippegaus-Grünau

Fast ein Viertel der Betriebe bildet nicht aus, weil sie das zu hohe Abbruchrisiko scheuen. Vor allem viele Altbewerberinnen und -bewerber bleiben deshalb ohne Ausbildung. Das Projekt carpo schafft für diese Gruppe neue Zugänge in Betriebe und flankiert die Ausbildung mit umfassenden Dienstleistungen für Auszubildende und für Betriebe.

Die Differenz zwischen dem, was Betriebe suchen, und dem, was viele Jugendliche bieten, bleibt ein Problem. Auch in Zeiten des Fachkräftemangels kommt ein erheblicher Teil der Jugendlichen, insbesondere derjenigen, die besondere Nachteile zu überwinden haben, nicht am Ausbildungsmarkt an. Nach wie vor landen sie in Sondermaßnahmen und drehen "Warteschleifen", statt in "normale" betriebliche Ausbildung einzumünden.

Diese Ausgangslage verstanden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Paritätischen und des Diakonischen Werks in Baden-Württemberg als Herausforderung, ein innovatives Konzept zu entwickeln, das neue Zugänge schafft und Unterstützungsstrukturen bietet. Das Projekt "Carpo", das in Baden-Württemberg mittlerweile an 11 Standorten mit Trägern der Jugendberufshilfe umgesetzt wird und das Vorgängerprojekt "diana" zeigen: Die Differenz zwischen Anforderungen und vorhandenen Kompetenzen kann überwunden werden. Benachteiligte Jugendliche können gute Auszubildende werden und bleiben - wenn die Bedingungen stimmen, das heißt wenn genau die Hilfen zur Verfügung stehen, die der/die Auszubildende und der Betrieb im Einzelfall brauchen.

Nach drei Jahren doch noch in die Ausbildung

Das Projekt richtet sich gezielt an die sogenannten Altbewerberinnen und -bewerber, an junge Menschen, die aus verschiedenen Gründen keinen Ausbildungsplatz bekommen hatten und deren Chancen mit zunehmendem Alter immer weiter sinken. "Uns hat bewegt, dass es Gruppen gibt, die eine ganze Menge an Kompetenzen und Ressourcen mitbringen, die nicht abgerufen werden, weil sie anscheinend nicht passen", sagt Berndt Korten, der Projektkoordinator von Carpo. Das Projekt konzentriert sich auf drei Gruppen: alleinerziehende junge Eltern, Auszubildende in genderuntypischen Berufen und Jugendliche mit Migrationshintergrund.

Bild: carpo

Anspruch des Projektes ist es, die Auszubildenden so zu unterstützen, dass sie ihre Ausbildung erfolgreich beenden können. Beim genauen Hinsehen zeigt sich, dass Benachteiligungen oft wenig Übereinstimmung bieten mit dem Bild der fehlenden Ausbildungsreife. Die Jugendlichen müssen unterschiedliche Problemlagen bewältigen und brauchen dabei individuelle Unterstützung  - das reicht aber nicht aus. Um wirksam zu helfen, müssen Infrastrukturen entwickelt und ausgebaut werden. Ein einleuchtendes Beispiel dafür ist die Teilzeitausbildung. Carpo-Erfahrungen belegen: Wo sie in der Region politisch unterstützt wird, ist die Bereitschaft der Betriebe sehr viel größer, sich auf junge Mütter in Teilzeit einzulassen. Wenn die Strukturen erst einmal geschaffen sind, gelingt auch die Ausbildung. 

Die größte Gruppe im Projekt bilden junge Menschen mit Migrationshintergrund, auf die das Konzept zunächst gar nicht explizit ausgerichtet war. Diese Gruppe erreicht große Erfolge mit diesem Modell. Sie machen die Erfahrung, dass sich hier jemand tatsächlich um sie kümmert - individuell und ganz persönlich. Dadurch fühlen sie sich so gestärkt, dass sie die  Entscheidung für eine betriebliche Ausbildung wagen.

Träger als Dienstleister in trialer Ausbildung

Die Kunst besteht darin, eine wirkliche Passung zwischen den (potenziellen) Auszubildenden und dem jeweiligen Betrieb hinzubekommen. Durch die Unterstützung des Projektes entsteht ein Dreieck der assistierten Ausbildung mit den Partnern Träger, Betrieb und Berufsschule.

Die Jugendlichen erhalten eine sechsmonatige Vorbereitung und nach Übertritt eine Unterstützung von Anfang bis Ende der Ausbildung. Sie umfasst zum Beispiel

  • Alltagsunterstützung,
  • Klärung und Hilfen in schulischen und betrieblichen Belangen und
  • Konfliktvermittlung.

In kritischen Phasen bietet das Projekt Sicherheit und Kontinuität, Beziehung und Vertrauen. Viele Teilnehmende brauchen Unterstützung in ganz konkreten Fragen, z. B. zur Kinderbetreuung und zum Aufbau von verlässlichen Alltagsstrukturen. Einige benötigen auch eine Art "Nachsozialisation", eine Hilfe zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, die in entscheidenden Entwicklungsphasen zu kurz gekommen ist. Sie bekommen ein Gefühl für sich selbst und lernen, den Alltag und die Kultur der Betriebe zu erfassen, Rollen und Grenzen wahrzunehmen und einzuhalten. Neben individueller Betreuung finden Gruppenveranstaltungen statt.

Carpo setzt nicht auf die Anpassung der Einzelnen an ein einheitliches Maßnahmekonzept, sondern richtet das System am Menschen aus und entwickelt jeweils passende Dienstleistungen.

 

Den anderen Teil des Projektes bilden die Dienstleistungen für die Betriebe. Carpo arbeitet mit einem an die individuellen Bedarfen angepassten Konzept. Die notwendigen Unterstützungsleistungen werden innerhalb eines festen Rahmens mit dem Partnerbetrieb abgesprochen. Den Betrieben - und auch den Berufsschulen - stellt Carpo einen verlässlichen Ansprechpartner für alle Fragen und Probleme, die während der Ausbildung auftreten. Das Projekt entlastet die Betriebe durch Dienstleistungen wie Beratung, Unterstützung, Information und bei Bedarf auch Ausbildungsmanagement.

Normalität statt Maßnahme

Ein zentrales Prinzip von Carpo bildet - neben dem Dienstleistungsverständnis - der Normalitätscharakter der Ausbildung. Die Teilnehmenden, die im Rahmen der Projektevaluation interviewt wurden, spiegeln ihr Selbstverständnis so: Wir sind normal, weil wir in einer normalen Ausbildung sind. Das weicht deutlich ab von ihren bisherigen Erfahrungen, wo sie den Eindruck gewannen, dass für sie besondere Maßnahmen eingerichtet werden müssen. Die Tatsache, dass ihre persönlichen Berufswünsche anerkannt werden, dass sie verlässliche Unterstützung erhalten und sich in normalen Betrieben bewegen, bewirkt eine starke Motivation und Lernbereitschaft.

Theoretisch lehnt sich das Projekt an das Prinzip der Inklusion an, das Bildungschancen für alle im Rahmen der regulären Bildungssysteme fordert - ohne Sondersysteme und Ausgrenzungen, aber mit Rücksicht auf die besonderen Bedürfnisse der Einzelnen. Dementsprechend setzt das Projekt nicht auf die Anpassung der Einzelnen an ein einheitliches Maßnahmekonzept, sondern richtet das System am Menschen aus und entwickelt jeweils passende Dienstleistungen. Es zielt darauf, "chancenarme" junge Menschen über Ausbildung und Arbeit in die Mitte der Gesellschaft zu führen, ihnen Teilhabe zu ermöglichen. 

Wie erfolgreich das Projekt arbeitet, darauf geben die Ergebnisse der Evaluation erste Hinweise. Die  angestrebten Zielgruppen wurden erreicht, nach drei und mehr Jahren erfolgloser Suche konnten Altbewerber und -bewerberinnen doch noch für eine Ausbildung gewonnen werden, unter ihnen über die Hälfte mit Migrationshintergrund und etwa ein Viertel junge Mütter.

Aus der Vorbereitungsphase mündeten 70 Prozent in die assistierte Ausbildung ein, je weitere fünf Prozent in betriebliche Ausbildung ohne Assistenz und in außerbetriebliche Ausbildung. In den letzten zweieinhalb Jahren haben nur rund zwölf Prozent die Ausbildung abgebrochen - und das in Berufen, in denen die Abbruchquoten besonders hoch liegen. Die erfolgreichen Abschlussprüfungen liegen - trotz der z.T. massiven Belastungen - leicht über dem Kammerdurchschnitt. Zusätzlich gelingt es, durch die assistierte Ausbildung, neue Ausbildungsplätze zu akquirieren, fast 30 Prozent der beteiligten Betriebe bildeten vorher nicht aus.

Nach einer ersten Projektphase ist es gelungen, die Bundesagentur für Arbeit bzw. die Grundsicherungsträger ins Boot zu holen: sie fördern knapp die Hälfte der Projektkosten - derzeit über ausbildungsbegleitende Hilfen - der Rest kommt aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und aus Landesmitteln.

Impulse für die Weiterentwicklung des dualen Systems

Durch Modelle wie Carpo gelingt es, Problemstellungen wie z. B. die geringe Ausbildungsbeteiligung junger Menschen mit Migrationshintergrund innerhalb des Regelsystems der beruflichen Bildung aufzulösen. Sie bieten damit eine bemerkenswerte Antwort auf die Mängel und Erosionserscheinungen des dualen Systems. In der aktuellen Frage: "Brauchen wir eigentlich ein gesondertes Fördersystem?" weist die assistierte Ausbildung einen praxiserprobten Weg zwischen den scheinbaren Widersprüchen von Ausbildungsmarkt und Ausbildungsförderung.

Die Projektverantwortlichen sehen die assistierte Ausbildung deshalb als ein Zukunftsmodell für alle Jugendlichen. "Wir halten es für ein so gutes Projekt, dass es in die Fläche muss", betont Berndt Korten.