21.09.2020 | Redaktion
Recht auf Grundbildung
WZBrief Bildung: Nationale Dekade greift zu kurz
Eine gemeinsame Strategie von Bund und Ländern zur Überwindung von Bildungsarmut und Analphabetismus fordert Michael Wrase, Juraprofessor an der Uni Hildesheim, in der neuen Ausgabe des "WZBrief Bildung". Aus seiner Sicht greifen die im Rahmen der Nationalen Dekade vorgesehenen Projekte zu kurz, da sie allein auf die Erwachsenenbildung fokussieren und den übrigen Bildungsbereich ausklammern - insbesondere die allgemeinen und berufsbildenden Schulen. Zudem fehle es an einer dauerhaften und nachhaltigen Institutionalisierung der entsprechenden Instrumente.
In der Publikation des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) untersucht Wrase die Ursachen der im Vergleich mit Ländern wie Finnland, Estland oder Kanada geringen "Literalität", also Lese- und Schreibfähigkeit in Deutschland. Die Höhe des erworbenen Schulabschlusses stehe in einem starken Zusammenhang mit der Lese- und Schreibkompetenz. Von Personen, die keinen Schulabschluss erreicht haben, sei mehr als jeder Zweite von geringer Literalität betroffen. Ausgangspunkt dafür sei oft ein Aufwachsen in sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen mit geringem Bildungsstand. Hinzu kämen häufig Probleme in der Schule: "Die Schulen reagieren auf komplexe Problemlagen bei benachteiligten Schülerinnen und Schülern häufig nicht mit pädagogisch unterstützenden Förderangeboten, sondern durch Nicht-Versetzung, Etikettierung (als 'sonderpädagogisch förderbedürftig') und die Abschulung auf eine Haupt- oder Förderschule."
Die Schwierigkeiten in der Schule und die Reaktionen darauf führten bei den Betroffenen häufig zu einem negativen Selbstbild und einem geringen Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Damit würden Lernerfolge immer unwahrscheinlicher. Gelinge jedoch der Einstieg in den Schriftspracherwerb nicht in den ersten Jahren der Grundschule, sehe das Schulsystem in den höheren Klassen keine Kompensationen vor. Dies zeige, dass geringe Literalität nicht auf das Problem fehlender Individualkompetenzen verengt werden dürfe – vielmehr müsse hier der Schulbereich in den Blick genommen werden.
Garantie für Bildung und Teilhabe
Das Recht auf Bildung gehört, so Michael Wrase, heute zum Kernbestand der international anerkannten Menschenrechte: "Betroffenen müssen klare und unbedingte Rechtsansprüche auf eine angemessene und hochwertige Grundbildung erhalten." Eine klare rechtliche Verpflichtung zur Schaffung eines inklusiven Bildungssystems auf allen Ebenen ergebe sich zudem aus Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention. Nicht nur die Länder, sondern auch der Bund unterlägen also einer klaren Verpflichtung, diese Rechte für ihre Bürger zu garantieren – durch eine gemeinsame Strategie, die "Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben" zu gewährleisten.