09.11.2022 | Redaktion | IAB
Mehr fördern, weniger fordern
IAB nimmt Stellung zum neuen Bürgergeld der Bundesregierung
Eine Stärkung von partizipativen und kooperativen Elementen in der Beziehung zwischen Jobcentern und Leistungsbeziehenden und zugleich eine Abkehr von Elementen der arbeitsmarktpolitischen Aktivierung – so lässt sich die wesentliche Zielrichtung des neuen Bürgergeldes zusammenfassen, das die im Jahr 2005 eingeführte Grundsicherung ablösen soll. In einer Stellungnahme untersucht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die wichtigsten Bestandteile des Gesetzesentwurfes und ihre möglichen Effekte auf die Integration in den Arbeitsmarkt.
Auf Basis wissenschaftlicher Befunde geht die Stellungnahme zunächst auf die Pläne zur Gestaltung des Eingliederungsprozesses und der Leistungsminderungen ein. Wie eine Reihe von Studien zeigen, könnte ein geringerer Einsatz von Sanktionen dazu führen, dass Übergänge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung seltener auftreten. Allerdings weisen die Autorinnen und Autoren auch auf aktuelle Studien hin, die zeigen, dass die Dauer der Beschäftigungsverhältnisse, die nach einer ersten Leistungsminderung aufgenommen wurden, in der Vergangenheit relativ kurz ausfiel und mit "Drehtüreffekten" in die Grundsicherung verbunden war. Die Neuregelung der Sanktionen kann aus ihrer Sicht dazu beitragen, die Stabilität von Beschäftigungsverhältnissen zu erhöhen.
Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Im Eingliederungsprozess ersetzt der Kooperationsplan mit der anschließenden Vertrauenszeit die bisherige Eingliederungsvereinbarung. Letztere war aus Sicht der Autorinnen und Autoren überfrachtet mit den Anforderungen, einerseits ein gemeinsam erarbeitetes Vorgehen im Eingliederungsprozess transparent zu dokumentieren und andererseits als rechtssichere Sanktionsgrundlage zu fungieren. Die Entkopplung dieser Elemente bewerten sie positiv: "Das neue Verfahren hat das Potenzial, die Rahmenbedingungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu verbessern, sodass Jobcenter und Leistungsberechtigte gemeinsam individuelle Lösungen für die Überwindung der Hilfebedürftigkeit erarbeiten können."
Für die Wirkung der Neuregelungen werde es vor allem entscheidend sein, wie die Verfahren vor Ort kommuniziert und umgesetzt werden. Dabei sei zentral, dass es Jobcentern und Leistungsbeziehenden gelinge, eine individuelle, umsetzbare und für beide Seiten akzeptable Strategie zu entwickeln und diese in klarer und verständlicher Sprache festzuhalten. Um Vertrauen aufzubauen und zu erhalten, sollten sich Leistungsminderungen ausschließlich auf die Verletzung von Mitwirkungspflichten beziehen, die im Einklang mit der gemeinsam abgestimmten Integrationsstrategie stehen und nicht auf Anforderungen, die für Leistungsbeziehende nicht nachvollziehbar sind.
Weiterbildung attraktiver machen
Auch die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs folgt dem Ziel, Strategien nachhaltiger Integration zu stärken und schnelle Übergänge in instabile Beschäftigungsverhältnisse zu vermeiden. Aus Sicht der Autorinnen und Autoren sind vermehrte Weiterbildungsanstrengungen für das Erreichen nachhaltiger Integrationen ein wesentlicher Faktor. Sie könnten durch finanzielle Anreize wie das Weiterbildungsgeld gestärkt werden. Auf diese Weise könne Weiterbildung auch für Personengruppen attraktiver werden, die besonders von Qualifizierungen profitieren dürften.
Die geplanten Änderungen beim Leistungszugang und bei der Höhe der Transferleistungen seien zwar geeignet, soziale Härten abzumildern. Die geplante Erhöhung des Regelsatzes liege aber in etwa auf Inflationsniveau und könne damit nicht zu einer Verbesserung der materiellen Teilhabe beitragen.
Weitere Informationen
- IAB: Stellungnahme zum Bürgergeld-Gesetz
Die Stellungnahme bezieht sich auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 14.09.2022. Nicht berücksichtigt ist der am 04.11.2022 bekannt gewordene Änderungsantrag der Bundesregierung.