29.11.2022 | Redaktion | IAB
Erwerbsmigration erleichtern
Stellungnahme des IAB zu Reformvorhaben der Bundesregierung
Die deutsche Wirtschaft benötigt dringend Impulse zur Bekämpfung des wachsenden Fachkräftemangels. Im Bereich der gezielten und gesteuerten Erwerbsmigration gibt es bereits ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Darüber hinaus hatte die Bundesregierung Vorschläge gemacht, wie der Zuzug qualifizierter Fachkräfte erleichtert werden könnte – so etwa mit einer Chancenkarte zur Arbeits- und Ausbildungsplatzsuche. Zu den Maßnahmen der Erleichterung der Erwerbsmigration legte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nun eine Stellungnahme vor.
Die größte Hürde für mehr Erwerbsmigration ist aus Sicht des IAB die Anerkennung der Gleichwertigkeit beruflicher Abschlüsse. Die Zahl der Anerkennungsverfahren, die aus dem Ausland erfolgt, steigt zwar, ist aber in absoluten Größen immer noch sehr gering. "Wenn Deutschland die Erwerbsmigration spürbar erhöhen will, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Gleichwertigkeitsprüfung in der gegenwärtigen Form verzichten oder sie stark reformieren müssen", folgern die Autorinnen und Autoren der Stellungnahme. Das bedeute nicht, grundsätzlich auf Qualifikationsauflagen zu verzichten. Der rechtliche Rahmen solle sich aber darauf beschränken, dass die Personen einen Abschluss einer anerkannten Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung besitzen und eine Mindestausbildungs- oder Studiendauer nachweisen können.
Die im Fachkräfteeinwanderungsgesetz geforderten Deutschkenntnisse sollten aus Sicht des IAB kein unabdingbares Einwanderungskriterium sein: "Da Deutsch keine Weltsprache ist und weniger als ein Zehntel der Migrantinnen und Migranten Zuzug beim Zuzug über gute oder sehr gute Deutschkenntnisse verfügen, ist es nicht realistisch, deutsche Sprachkenntnisse zum verpflichtenden Zuzugskriterium zu machen und zugleich die Erwerbsmigration zu steigern." Durch den Ausbau der Sprachkursangebote im Ausland und zwischenstaatliche Vereinbarungen zur Förderung von Deutschkenntnissen in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen könne allerdings das Migrationspotenzial erhöht und die Arbeitsmarktintegration erleichtert werden. Zentral bleibe aber die Deutschsprachförderung in Deutschland und die Erweiterung der Sprachkursangebote, vor allem in Form von berufsbegleitenden Angeboten.
"Die gesteuerte Arbeitsmigration aus Drittstaaten spielt in Deutschland bislang quantitativ nur eine
untergeordnete Rolle."
Die neben dem Zuzug mit Arbeitsplatzzusage im Koalitionsvertrag vorgeschlagene Einführung einer "Chancenkarte" zur Job- und Ausbildungsplatzsuche soll einen Zuzug ermöglichen, wenn drei von vier Kriterien erfüllt werden: (1) qualifizierter Berufs- oder Hochschulabschluss, (2) dreijährige Berufserfahrung, (3) Deutschsprachkenntnisse, (4) Alter unter 35 Jahren. Personen mit einem anerkannten Berufsabschluss sollen sofort einreisen können. Die Wirkungen der Chancenkarte können aus Sicht der Autorinnen und Autoren mangels ausreichender Informationen über ihre Ausgestaltung noch nicht abgeschätzt werden. Allerdings erscheine es wenig wahrscheinlich, dass mit ihr die notwendigen Zuzugszahlen erreicht werden können, um dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen.
Im Vergleich zu europäischen Nachbarn, aber auch zu außereuropäischen Ländern spielt die gesteuerte Arbeitsmigration in Deutschland bislang nur eine untergeordnete Rolle. Die Einwanderung zu Erwerbszwecken hat in den vergangenen zehn Jahren 10 Prozent der Zuzüge aus Drittstaaten und 5 Prozent der gesamten Zuzüge pro Jahr in der Regel nicht überschritten. Von Verhältnissen klassischer Einwanderungsländer, die wie Kanada, Australien und Neuseeland rund 40 bis 50 Prozent der Einwanderung durch Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken steuern, ist Deutschland weit entfernt.