29.05.2013

Konfliktbewältigung in der Ausbildung

Praxisbericht über den "Hamburger Mediationsservice Ausbildung"

von Frank Neises

Die Vertragslösungsquote in der betrieblichen Ausbildung war im vergangenen Jahr mit nahezu jedem vierten aufgelösten Vertrag so hoch wie lange nicht mehr. Der Mediationsservice Ausbildung aus Hamburg wirkt drohenden Ausbildungsabbrüchen durch Angebote der Beratung und Mediation für Auszubildende wie Betriebe entgegen.

Die hohe Lösungsquote von Ausbildungsverträgen ist keine Abbruch- und schon gar keine Abbrecherquote. Ein aufgelöster Vertrag kann auch ganz einfach einen Wechsel bedeuten, was per se nichts Problematisches an sich hat. Im Gegenteil, eine "gesunde" Lösungsquote kann darauf hindeuten, dass Auszubildende reflektieren und unter Umständen frühzeitig den passgenaueren Beruf oder den Betrieb wechseln. Ist die Lösungsquote von Ausbildungsverträgen jedoch sehr hoch, deutet dies auf strukturelle Probleme in der Ausbildung hin. In jedem Fall bedeutet es einen Verlust an personalen und finanziellen Ressourcen auf Seiten der Betriebe und im negativen Fall der Verlust beruflicher Perspektiven oder Ausstieg aus der Bildungsbeteiligung für die jungen Erwachsenen.

Auch in der Stadt Hamburg lag die Quote der Vertragslösungen 2011 bei ca. 28 Prozent. Aus diesem Grund fördert die Stadt Hamburg, kofinanziert mit Mitteln des ESF, den "Hamburger Mediationsservice Ausbildung" der Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Migranten (ASM e. V.).

Hintergründe zur Lösung von Ausbildungsverträgen

Die häufigsten Gründe zur Lösung von Ausbildungsverträgen liegen in Konflikten zwischen Ausbilder-/innen und Auszubildenden bzw. in Prozessen während der Ausbildung, die in Konflikte münden. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an Gründen, die sowohl mit den Rahmenbedingungen und Inhalten der Ausbildung  als auch mit den personalen Merkmalen der jungen Erwachsenen zu tun haben. Die Gründe reichen von der schlechten Vermittlung der Ausbildungsinhalte und der Zuweisung ausbildungsfremder Tätigkeiten auf der betrieblichen Seite bis hin zur fehlenden Motivation oder Leistungsbereitschaft der Auszubildenden.

Auszubildende ohne Hauptschulabschluss weisen eine ca. dreimal höhere Quote von Vertragslösungen auf, als Studienberechtigte. Weitere Unterschiede in den Gründen für die Vertragslösungen sind in den Branchen und regionalen Disparitäten zu suchen. Während in Teilen des Hotel- und Gaststättengewerbes und des Handwerks die Lösungsquoten in der Spitze nahezu 50 Prozent betragen (z. B. Koch/Köchin, Friseur/Friseurin) sind die Quoten in Industrieberufen und in der öffentlichen Verwaltung verhältnismäßig sehr gering. Hinzu kommt, dass kleine und mittlere Unternehmen häufig nicht über die Ressourcen verfügen, sich intensiv um die Auszubildenden zu kümmern. Während gemäß dem BIBB-Datenreport 2013 in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Sachsen-Anhalt über 30 Prozent der Verträge gelöst wurden, liegt die Zahl in Bayern und Baden-Württemberg bei rund 20 Prozent.

Hamburg liegt dabei mit knapp über 28 Prozent leicht über dem Durchschnitt in 2011, weist aber durch das Stadtgebiet eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Ausbildungsberufen in den kritischen Branchen Hotel, Restaurant und Gaststätten sowie im Handel auf. Zudem ist die Zahl der Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die ebenfalls überdurchschnittlich hohe Lösungsquoten aufweisen, mit fast jedem zweiten Jugendlichen sehr hoch.

Warum der Hamburger Mediationsservice?

Vor diesem Hintergrund ist der "Hamburger Mediationsservice Ausbildung" 2011 von ASM e. V. ins Leben gerufen worden. Aus dem eben benannten Aspekt des Migrationshintergrunds bzw. der Zuwanderungsgeschichten vieler Hamburger  (übrigens auch auf Unternehmensseite) gestaltet sich das spezifische Angebot des ASM e. V., die bei den Konflikten im Betrieb auch einen Fokus auf interkulturelle und sprachliche Vermittlung legen. Die Angebote des Mediationsservice haben explizit zum Ziel Ausbildungsabbrüche zu vermeiden oder eine nicht abzuwendende Vertragslösung positiv für die Beteiligten zu moderieren.

Hilfen, schnell und bedarfsgerecht

Beim Mediationsservice melden sich in drei Viertel der Fälle Auszubildende, die akut ein Problem im Ausbildungsbetrieb haben, in einem Viertel der Fälle die Ausbilder und Ausbilderinnen, die ein Problem mit dem Azubi sehen. Auf Seiten der kleinen und mittleren Unternehmen bestehen zum Teil Unsicherheiten bei Themen wie Berufsschulzeiten, Ausbildungsvergütung, Rechte und Pflichten während der Ausbildung. Auf Seiten der Azubis herrschen nicht selten nur vage Vorstellungen über die Anforderungen in dem Ausbildungsberuf oder der Ausbildung vor; fehlende Motivation oder hohe Fehlzeiten  sind häufig die Folgen.

Die Projektmitarbeiter und -mitarbeiterinnen, die über eine Mediationsausbildung verfügen, nehmen sich der Fälle in Klärungsgesprächen an, beraten die Hilfesuchenden und vermitteln in den Konflikten am runden Tisch mit den beteiligten Akteuren. Häufig handelt es sich um Missverständnisse oder Konflikte, die mit den Methoden der Mediation in einem oder mehreren Gesprächen aufzulösen sind. Diese Beratung kann nur einen Tag in Anspruch nehmen oder aber über eine ganze Ausbildungszeit gehen. Sie ist also individualisiert und bedarfsgerecht auf die jeweilige Situation hin ausgerichtet. Die fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Mediationsservice, die selbst unterschiedliche Zuwanderungsgeschichten haben, leisten schnelle, flexible und akute Hilfen. Seit Januar 2011 wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt 420 Fälle in 140 Betrieben in eben dieser unterschiedlichen Intensität betreut.

Seldas erfolgreicher Ausbildungsabschluss

Selda, eine Auszubildende im Textil-Einzelhandel, kam in die persönliche Beratung von ASM, da sie enorme Probleme mit ihrem Ausbilder hatte. Seldas Ansicht nach war der Konflikt so weit eskaliert, dass sie kurz vor ihrer Abschlussprüfung den Betrieb wechseln wollte. Laut ihrer Aussage konnte sie dem psychischen Druck, den der Ausbilder erzeugte, nicht mehr standhalten und wurde deshalb krankgeschrieben. Der Ausbilder soll ihr gedroht haben, so dass sie inzwischen Angst vor ihm hatte. Ihr Ausbilder wiederum erklärte, Selda würde sich immer wieder krankmelden, ohne wirklich krank zu sein. Er wollte sie deshalb auch nicht weiter ausbilden. Nach eingehenden Einzelgesprächen mit der Auszubildenden und dem Ausbilder waren beide damit einverstanden, ein Gespräch im Beisein des ASM-Mitarbeiters Ali Erder am "Runden Tisch" zu führen.

Die Projektmitarbeiter und -Mitarbeiterinnen nehmen sich der Fälle in Klärungsgesprächen an, beraten die Hilfesuchenden und vermitteln in den Konflikten am runden Tisch mit den beteiligten Akteuren.

 

Während dieses Gesprächs gelang es, beide Seiten durch den Perspektivwechsel einander näher zu bringen. Die beiderseitigen Vorwürfe wurden während der Mediation zurück genommen und es wurden Zielvereinbarungen getroffen, die beide Parteien einhalten wollten. Der Ausbilder hat sich danach immer wieder bei ASM zu formalen Fragen zu Berichtsheft, Arbeits- und Urlaubszeiten der Auszubildenden gemeldet. Diese Schwierigkeiten konnten geklärt werden. Zwei Monate nach dem Gespräch am "runden Tisch" konnte Selda ihre Abschlussprüfung erfolgreich bestehen und ist jetzt ausgebildete Kauffrau im Einzelhandel.

Mehr als reine Mediation

Die Angebote des Projektteams des ASM e. V. gehen aber über die akute Hilfestellung und Mediation hinaus. In regelmäßig stattfindenden Azubi-Stammtischen findet ein Erfahrungsaustausch und gegenseitige Unterstützung der jungen Erwachsenen statt und es werden Hilfen bei Problemen und Krisen angeboten. Es finden Trainings z. B. zur gewaltfreien Kommunikation, Konfliktlösung oder zur Bewältigung von Prüfungsangst statt. Auf Seiten der Ausbilderinnen und Ausbilder werden in den Kursen der Ausbilder-Eignungsverordnung von ASM verstärkt pädagogische Inhalte sowie interkulturelle Themen integriert. Die Ausbildungshotline bietet darüber hinaus auch eine anonyme Beratung bei Fragen für die Azubis an. Zudem arbeitet der Mediationsservice eng mit den Hamburger Berufsschulen zusammen und setzt dort Trainings gemeinsam mit den Lehrkräften um. Auch die Elternarbeit ist in manchen Fällen ein wichtiger Bestandteil der Beratungsarbeit. Dabei helfen die breiten interkulturellen Kompetenzen der Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Ebenso werden andere professionelle Hilfen und Regelleistungen, z. B. Hilfen bei psychosozialen Fragestellungen oder. ausbildungsbegleitende Hilfen einbezogen.

Interkulturalität als wichtiger Bestandteil der Beratungsangebote

Der Mediationsservice ist mit dem Kompetenzzentrum für Migranten vernetzt. Insgesamt 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für vier kooperierende Organisationen des Kompetenzzentrums tätig: Die Arbeitsgemeinschaft türkischer Unternehmer und Existenzgründer e.V. (ATU), die Hamburg Plus gGmbH, die Hamburger Stiftung für Migranten und die Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Migranten e.V. Sie verfügen über jahrelange Erfahrungen in der Beratung von Migranten. Die Mitarbeiterstruktur von ASM entspricht der Heterogenität unserer Gesellschaft: Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ASM stammen selbst aus Zuwandererfamilien und kennen daher Mentalität und Probleme von Migranten. Sie können die Beratung auch in den Muttersprachen vieler Migranten vornehmen. So wird nicht zuletzt in täglicher Praxis die Kompetenz erworben, mit (interkultureller) Vielfalt und Verschiedenheit im Arbeitsprozess umgehen zu können. Eine Herausforderung, vor der viele Ausbilderinnen und Ausbilder und auch die Unternehmen mehr denn je stehen.

Projekt und Ende?

Bislang existieren wenige Angebote wie der Hamburger Mediationsservice Ausbildung, die direkt und akut zur Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen konzipiert sind und als Service und Dienstleistung von neutraler Seite angeboten werden. Der Projektansatz wird derzeit in dem neuen Projekt "MAN Mediation Ausbildung Niedersachsen" vom Bund Türkisch-Europäischer Unternehmer e.V. auf ein Flächenland übertragen. Es wird in der Auswertung interessant sein zu sehen, welche Unterschiede sich zwischen Stadt und Flächenland ergeben. ASM ist derzeit in Gesprächen mit der Stadt Hamburg, den Mediationsservice auszuweiten.

Weitere Informationen

  • www.asm-hh.de
    Der Verein will Unternehmer mit Migrationshintergrund als Ausbilder für das Duale System der Berufsausbildung zu gewinnen.
  • www.bteu.de/man
    Der Bund Türkisch-Europäischer UnternehmerInnen e.V. (BTEU) hilft Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu finden. Die Familie wird in den gesamten Prozess mit eingebunden.