20.07.2021

Ausbildung in Teilzeit stärken

Dokumentation der Fachtagung des BIBB und des Netzwerks Teilzeitberufsausbildung am 17. Juni 2021

Expertinnen und Experten diskutierten die neuen Perspektiven durch die Erweiterung der Teilzeitberufsausbildung und die konkreten Herausforderungen für die Praxis auf der Tagung "Ausbildung in Teilzeit stärken". Sie wurde vom Netzwerk Teilzeitberufsausbildung und dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) veranstaltet und von der BIBB-Fachstelle überaus organisiert – anlässlich einer im Juni 2021 veröffentlichten Empfehlung des BIBB-Hauptausschusses, die das im Januar 2020 durch eine Änderung des Berufsbildungsgesetzes erweiterte Instrument konkretisiert. Die Teilnahme von mehr als 350 Fachkräften verdeutlichte das große Interesse an dieser Form der Berufsausbildung.

Die persönliche Situation lässt es nicht immer zu, dass junge Menschen eine Berufsausbildung in Vollzeit absolvieren können. Ein Weg zum Beruf kann dann die Berufsausbildung in Teilzeit sein. Die Erweiterung der Teilzeitausbildung ermöglicht eine flexiblere zeitliche Ausgestaltung und macht sie einem größeren Personenkreis zugänglich. Im Zentrum der Fachtagung stand diese zeitliche und personelle Flexibilisierung der Ausbildung, die eine Anpassung an individuelle Bedarfe erlaubt.

Teilzeitberufsausbildung bekannter machen

Die Referentinnen und Referenten, aber auch viele Teilnehmende, die sich über das interaktive Tool "Mentimeter" beteiligten, waren sich in einem Punkt einig: Die Anzahl der Ausbildungsverträge in Teilzeit und der Bekanntheitsgrad müssen gesteigert werden – aus einem randständigen Instrument müsse eine bundesweit verbreitete, "normale" Praxis werden. Dazu wurden zahlreiche Ideen geäußert, so zum Bespiel eine flexiblere und mediengestützte Gestaltung des Berufsschulunterrichts, mehr Werbung seitens der Kammern in Richtung der Unternehmen, eine stärkere Verbreitung von Beispielen guter Praxis und die gezielte Einbindung von Bildungsträgern mit ihrer Expertise. Die Empfehlungen des BIBB-Hauptausschusses wurden weitgehend begrüßt, weil sie die BBiG-Novelle im Hinblick auf die praktische Umsetzung konkretisieren und damit für alle Beteiligten Klarheit schaffen. Begrüßt wurde auch, dass die Ausbildung in Teilzeit nun allen Azubis möglich ist und kein "berechtigtes Interesse" mehr nachgewiesen werden muss.

Herausforderungen: Berufsschule und Kinderbetreuung

Klick zum VergrößernScreenshot aus dem YouTube-Livestream der Fachtagung

Als besondere Herausforderung bei der Umsetzung der Teilzeitausbildung wurden die oft zu starr festgelegten Berufsschulzeiten identifiziert. Hier gibt es große Unterschiede zwischen einzelnen Berufsschulen, die bei den Schulleitungen liegen, aber auch an der Tatsache, dass die Regelung der Berufsschulzeiten Ländersache sind, sodass es bislang keine bundesweiten Standards gibt. Ideen zur Flexibilisierung sind zum Beispiel: Engere Kooperationen der Lernorte, die Bildung von Teilzeitklassen, verstärkte Möglichkeiten, online zu lernen sowie eine bessere Einbeziehung der Kultusministerien.

Herausforderungen bei der Teilzeitausbildung aus Sicht der Teilnehmenden

Die unten abgebildete "Wortwolke" wurde gebildet durch eine Mentimeter-Umfrage unter den Teilnehmenden der Tagung. Die Frage lautete: Was sind zentrale aktuelle Herausforderungen für die Umsetzung der Teilzeitausbildung?

Klick zum VergrößernMentimeter-Umfrage - zum Vergrößern bitte anklicken!

Tagungsablauf

Begrüßung

Prof. Dr. Michael Heister

Prof. Dr. Michael Heister, Abteilungsleiter im BIBB

Michael Heister, Leiter der BIBB-Abteilung "Initiativen für die Berufsbildung", erinnerte an die BIBB-Tagung im Jahr 2016 zum Thema "10 Jahre Teilzeitberufsausbildung". Schon damals sei festgestellt worden, dass die Inanspruchnahme des Instruments weit unter den Erwartungen lag. Um die Zahlen der Nutzerinnen und Nutzer der Teilzeitausbildung zu steigern, sei harte Arbeit nötig, vor allem eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit.

BBiG-Novellierung: Neuregelungen in Bezug auf Teilzeitausbildung

Dr. Daniela von Bubnoff, Referentin im BMBF

Daniela von Bubnoff hob hervor, dass die Teilzeitberufsausbildung jetzt eine Möglichkeit für alle Auszubildenden sei, wenn sich beide Vertragspartner, Auszubildende und Betriebe, über die Ausgestaltung einig sind. Die BMBF-Referentin im Bereich "Rahmenbedingungen der beruflichen Bildung" erläuterte die Regelungen im Berufsbildungsgesetz (BBiG) und die neue Empfehlung des BIBB-Hauptausschusses im Einzelnen. So wies sie auf die Möglichkeit hin, die Ausbildung für die bisher als "berechtigt" geltenden Personen mit Familien- oder Pflegeverantwortung zusätzlich um bis zu ein Jahr zu verkürzen.

Teilzeitberufsausbildung in Zahlen. Berufsbildungsstatistik 2008 bis 2019

Dr. Alexandra Uhly

Dr. Alexandra Uhly, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im BIBB

Alexandra Uhly erläuterte, dass die seit 2007 geführte Statistik nur für den Bereich der dualen Berufsausbildung gelte, nicht etwa für den Bereich schulischer Ausbildungen. Die wichtigste Zahl: Im Jahr 2019 lag der Anteil der an allen Neuabschlüssen bei 0,4 Prozent. Insgesamt gebe es eine höhere Lösungsquote, was aber nicht an der Ausbildung in Teilzeit liege, sondern an den Personengruppen, die ausgebildet werden.

Aktuelle Herausforderungen der Umsetzung nach der BBiG-Novelle

Ulrike Sammet

Ulrike Sammet, Geschäftsführerin des Netzwerks Teilzeitausbildung Baden-Württemberg

Ulrike Sammet betonte, die Teilzeitberufsausbildung bekomme derzeit "gleichzeitig Gegen- und Rückenwind". Einerseits sei die Konkretisierung der Neuregelungen im BBiG durch den BIBB-Hauptausschuss sehr hilfreich, andererseits müssten noch viele Vorurteile aus dem Weg geräumt werden. Sie plädierte für eine zusätzliche Ausweitung des Instruments auf die schulische Ausbildung.

Dr. Victoria Schnier

Dr. Victoria Schnier, Abteilungsleiterin bei der G.I.B. NRW

Victoria Schnier berichtete von der Arbeit der G.I.B. NRW. Im Programm "Teilzeitberufsausbildung – Einstieg begleiten – Perspektiven" (TEP) sei eine durchgängige Beobachtung, dass die Kinderbetreuung zu wenig flexibel sei. Die Teilzeitausbildung sei zwar nun allen Zielgruppen zugänglich, doch die Beteiligung von Geflüchteten oder Menschen mit Behinderungen gehe gegen Null: "Hier brauchen wir auch mehr Forschung. Wir wissen zu wenig über die Bedarfe."

Blick in die Praxis

Tatjana Leichsering

Tatjana Leichsering, Bereichsleiterin beim VbFF

Tatjana Leichsering berichtete von ihrer Arbeit beim Verein zur beruflichen Förderung von Frauen, ein Ausbildungszeitraum von vier Jahren werde oft als zu lang angesehen, Azubis fürchteten, Anschlussperspektiven rückten in ferne Zukunft, während ihr Status als Geringverdienerinnen sich verlängere. Andererseits sieht sie in der Öffnung der Teilzeitausbildung für weitere Zielgruppen einen entscheidenden Vorteil der Neuregelung. Insgesamt sei bei der Akquise von Ausbildungsplätzen in Teilzeit derzeit allerdings noch viel Überzeugungsarbeit nötig.

Die Perspektiven der Teilnehmenden

Klick zum VergrößernWie haben sich die Teilnehmenden bisher mit dem Thema "Teilzeitausbildung" beschäftigt?

Während der Tagung nutzten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr rege die Möglichkeit, sich an interaktiven Umfragen zu beteiligen. Die Fragen lauteten unter anderem: "Welchem Arbeitsfeld würden Sie sich zuordnen?" – "Wie würden Sie ihre bisherige Beschäftigung mit der "Ausbildung in Teilzeit" am ehesten beschreiben?" – "Was sind zentrale aktuelle Herausforderungen für die Umsetzung der Teilzeitausbildung?" – "Die Teilzeitausbildung ist stark, wenn..." – "Wunschkonzert: Was wäre ihr zentraler Wunsch für eine gelingende Teilzeitausbildung?"

Gesprächsrunde: Perspektiven der Teilzeitausbildung

Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gesprächsrunde

Bei der Gesprächsrunde nach der Mittagspause ging es um die Perspektiven der Teilzeitausbildung - aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Teilnehmende waren (von oben links nach unten rechts) Christina Schwab (Fachbereichsleiterin, Rapid med GmbH), Jörn Lamprecht (Leiter Recruiting / Ausbildungsleiter, Stadtreinigung Hamburg), Harald Töltl (Geschäftsführer Berufsbildung, IHK Rhein-Neckar), Kerstin Christ (Hessisches Ministerium für Soziales und Integration) sowie - nicht abgebildet - Dr. Daniela von Bubnoff (Referentin, Bundesministerium für Bildung und Forschung).

"Teilzeitausbildung lohnt sich!"

Aus der Praxis berichtete Christina Schwab, Fachbereichsleiterin beim ambulanten Pflegedienst "Käthe kommt" in Gladbeck (Nordrhein-Westfalen). Sie betonte die Vorteile der Teilzeitausbildung: "Wir finden immer wieder extrem motivierte Auszubildende. Natürlich erfordert das Flexibilität, aber die bringen wir gerne auf." Auch Jörn Lamprecht, Ausbildungsleiter bei der Hamburger Stadtreinigung, hob hervor, dass Aufwand und Ertrag der Teilzeitausbildung für sein öffentliches Unternehmen in einem guten Verhältnis stehen. "Als solches haben wir natürlich eine besondere gesellschaftliche Verantwortung, die wir aber auch gerne wahrnehmen", erkärte er. Bei der Stadtreinigung Hamburg gibt es rund 60 Auszubildende, seit 2009 werden dort Azubis in Teilzeit ausgebildet.

"Die Gesetzesnovelle macht alles noch komplizierter!"

Harald Töltl berichtete aus seiner Erfahrung bei der IHK Rhein-Neckar in Mannheim: "Ohne intensive Vermittlung geht gar nichts." Für viele kleine und mittlere Unternehmen ist aus seiner Sicht der Aufwand bei der Teilzeitausbildung sehr hoch: "Die Betriebe müssen ihren Ausbildungsplan komplett umbauen. Die Schwierigkeit, eine verlässliche Planung vorzunehmen, ist das Haupthindernis bei der Umsetzung." Hier befürchtet er, dass die Gesetzesnovelle keine Vereinfachung mit sich bringt, sondern es noch komplizierter macht und es dadurch nicht leichter wird, Betriebe für die Teilzeitausbildung zu gewinnen. Herr Töltl schlug zudem zur Verbesserung der Umsetzung ein Förderprogramm der Kultusministerkonferenz und des BMBF vor, mit dessen Hilfe Azubis in Teilzeit von der Berufsschulpflicht freigestellt werden könnten. Private Bildungsträger könnten dann die Aufgabe der Berufsschule übernehmen.

"Weniger Leistungsstarke für die Ausbildung gewinnen!"

Dr. Daniela von Bubnoff sah die Teilzeitberufsausbildung als Chance für die Gewinnung von Fachkräften: "Sie ermöglicht es, auch nicht so leistungsstarke junge Menschen in Ausbildung zu bringen." Leistungsstarke Familiensorgende könnten die Teilzeitausbildung wie bisher in verkürzter Zeit absolvieren. Kerstin Christ berichtete von einer Evaluation, die unter anderem ergeben hatte, dass die Zielgruppen der Teilzeitausbildung häufig sozial isoliert seien. Es gelte deshalb, diese Zielgruppen "aufzuschließen", um neue Perspektiven zu schaffen. Um von der Teilzeitausbildung als Sonderform zu mehr Normalität zu gelangen, sei viel Aufklärung erforderlich. "Dafür gibt es aber zu wenig finanzielle Ressourcen", bedauerte sie.

Mutmacher

Zum Schluss der Gesprächsrunde fragte die Moderatorin Ragna Melzer vor allem die Praktikerinnen und Praktiker der Teilzeitberufsausbildung, was denn aus ihrer Sicht für die Umsetzung des Instruments Mut machen kann. "Lassen Sie nicht von den möglichen Schwierigkeiten abschrecken", sagte Christina Schwab dazu, "sehen Sie sich die motivierten jungen Bewerberinnen und Bewerber doch erst einmal an!" Kürzer fasste diese Position Jörn Lamprecht zusammen: "Einfach machen! Suchen Sie sich für die Umsetzung starke Partner." Die Teilzeitausbildung könne die Attraktivität eines Unternehmens als Ausbildungsbetrieb erhöhen und sei deshalb auch als Marketinginstrument einsetzbar. Die Möglichkeit, Azubis und damit perspektivisch Fachkräfte zu gewinnen, stehe aber sicher im Mittelpunkt.

    Schlusswort

    Klaus Weber

    Klaus Weber, Arbeitsbereichsleiter im BIBB

    Im Schlusswort erzählte Klaus Weber die Geschichte der Entstehung des Songs "White Christmas" von Bing Crosby, der vor 80 Jahren in der Sommerhitze New Yorks zum Tonstudio geht, um dort den Song einzuspielen, der später mit über 50 Millionen verkauften Platten zum Welterfolg wird. Sein Fazit: "Wenn Sie denken, wie viel Engagement für die Ausbildung in Teilzeit noch nötig ist, denken Sie auch: Es geht so viel. Einen Schritt haben wir heute in diese Richtung gemacht."

    Mentimeter-Umfrage: DIE TEILZEITAUSBILDUNG IST STARK, WENN...

    Eine zusammenfassende Auswahl aus den zahlreichen Meinungsäußerungen der Teilnehmenden:

    • ...alle Akteure an einem Strang ziehen
    • ...sie individuell begleitet wird
    • ...die Umsetzung einfach und einheitlich erfolgt
    • ...sie bekannt und als "normale" Form der Ausbildung anerkannt ist
    • ...sich die Berufsschulen flexibel auf die Änderungen einstellen
    • ...mehr Beispiele guter Praxis bekannt werden
    • ...die bürokratischen Hürden klein sind
    • ...sich viele Betriebe für die Teilzeit öffnen
    • ...die Barrieren in den Köpfen abgebaut werden
    • ...die Öffentlichkeitsarbeit es schafft, die Chancen ins Bewusstsein zu bringen
    • ...große Unternehmen zu Vorbildern werden
    • ...die Kinderbetreuung gesichert ist und gut funktioniert
    • ...

    Weitere Informationen