23.08.2012
Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation
Zur Stärkung der Handlungskompetenz
von Kirsten Vollmer (BIBB)
Mit der Aktualisierung der "Rahmenrichtlinien für Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen" im Juni 2006 hatten das Bundesinstitut für Berufsbildung und der Ausschuss für Fragen behinderter Menschen (AFbM) einen wichtigen Prozess angestoßen, dessen Ziel eine qualifizierte Berufsausbildung für alle ist. Nun beschloss der Hauptausschuss des BIBB eine wegweisende Konkretisierung für die Praxis: Das "Rahmencurriculum für eine Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbilderinnen und Ausbilder (ReZA)" soll die berufliche Handlungskompetenz des Bildungspersonals entscheidend stärken.
Zusatzqualifikation ist obligatorisch
Das beschlossene Rahmencurriculum greift die Vorgaben der Rahmenregelung zur rehabilitationspädagogischen Zusatzqualifikation für Ausbilderinnen und Ausbilder auf, wonach Ausbilderinnen und Ausbilder, die behinderte Menschen gemäß § 66 BBiG/§ 42m HwO ausbilden, grundsätzlich über eine rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation verfügen müssen.
ReZA wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) von einer Projektgruppe der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke e.V. (BAG BBW) unter Beteiligung eines Fachbeirats auf Basis der in der Rahmenregelung genannten acht Kompetenzfelder erarbeitet. Besondere Schwerpunkte liegen auf den Themen Lernbehinderung, Lernstörung, Verhaltensauffälligkeiten und psychische Behinderungen, personenbezogene Förderplanung, qualifizierte Zusammenarbeit mit den Berufsschulen und Übergänge in "Vollausbildungen". Die gesetzten Schwerpunkte entsprechen der Hauptzielgruppe der Rahmenregelung.
Die rehabilitationspädagogische Weiterbildung steht prinzipiell allen an der beruflichen Ausbildung von behinderten Menschen Beteiligten offen. Für die Weiterbildung werden die Inhalte der Ausbilder/-innen-Eignungsverordnung sowie Ausbildungserfahrung vorausgesetzt.
Das Anforderungsprofil der Weiterbildung umfasst folgende Kompetenzfelder:
- Reflexion der betrieblichen Ausbildungspraxis
- Psychologie
- Pädagogik, Didaktik
- Rehabilitationskunde
- Interdisziplinäre Projektarbeit
- Arbeitskunde/Arbeitspädagogik
- Recht
Eine formale Prüfung - wie in Fortbildungsverordnungen ist nicht vorgesehen - bzw. nicht vorgeschrieben. Es ist jedoch ein Nachweis über behinderungsspezifische Qualifikationen (Zertifikat) zu erstellen, der den Kammern von den Absolventen/Absolventinnen vorgelegt werden kann. Dem jeweiligen Anbieter obliegt die konzeptionelle Umsetzung von ReZA sowie die Gestaltung der zeitlichen Abfolge und Form der Durchführung. Der Gesamtumfang beträgt entsprechend der Rahmenregelung 320 Stunden. Die Weiterbildung soll die berufliche Handlungskompetenz von Ausbilderinnen und Ausbildern in der Ausbildung von behinderten Menschen stärken und fördern.
Einheitliche Qualitätsstandards
Die Verabschiedung des "Rahmencurriculum für eine Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbilderinnen und Ausbilder (ReZA)" durch den Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (HA des BIBB) am 21. Juni 2012 ist Teil eines längeren Prozesses zur Einführung bundesweit einheitlicher Qualitätsstandards in die Ausbildung von behinderten Menschen in Fachpraktiker- und Fachpraktikerinnen-Berufen.
Fachpraktiker- und Fachpraktikerinnen-Berufe sind jene Berufe, in denen behinderte Menschen, bei denen aufgrund Art und Schwere ihrer Behinderung eine Ausbildung in einem "regulären" Ausbildungsberuf auch unter Anwendung von Nachteilsausgleich nicht möglich ist, auf der Grundlage von § 66 Berufsbildungsgesetz (BBiG)/§ 42m Handwerksordnung (HwO) ausgebildet werden können. Die Regelungskompetenz für diese Ausbildungsgänge liegt bei den regional zuständigen Stellen. Dies sind in der Regel Industrie- und Handelskammern, Handwerks- und Landwirtschaftskammern. Sie erlassen entsprechende Ausbildungsregelungen.
Im Laufe der Zeit war so eine Vielzahl unterschiedlicher Ausbildungsregelungen entstanden, die schließlich in eine unübersichtliche "Landschaft" von knapp tausend Einzelregelungen gemündet war. Insbesondere die Tatsache, dass trotz vielfach gleicher Berufsbezeichnungen unterschiedliche Inhalte bestanden, verhinderte Transparenz und Vergleichbarkeit.
Das BIBB und der Ausschuss für Fragen behinderter Menschen (AFbM), der Fachunterausschuss des Hauptausschusses, hatten daher mit der Aktualisierung der "Rahmenrichtlinien für Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG und § 42m HwO für behinderte Menschen" die Überprüfung und Vereinheitlichung der Regelungen angestoßen und schließlich einen bis heute andauernden Prozess zur Implementierung von Qualitätsstandards im Feld der Ausbildungsregelungen initiiert. Meilenstein im Rahmen dieses Prozesses war die Verabschiedung der "Rahmenregelung für Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen gemäß § 66 BBiG/§ 42m HwO" als Empfehlung des BIBB-Hauptausschusses.
Kernelemente der Rahmenregelung sind:
- Durchstiegsmöglichkeit in eine Ausbildung im "regulären" Bezugsberuf
- ein personenbezogener Förderplan
- Mitverantwortung der Berufsschule
- Zielgruppe: Menschen mit Lernbehinderung
- Eignung der Ausbildungsstätte
- Ausbilder(-innen)schlüssel und rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation der Ausbilder(-innen)
- Vorgaben für betriebliche Ausbildungsinhalte und -zeiten
- Förderphase
- berufliche Handlungskompetenz als Zielsetzung der Ausbildung
- sowie eine einheitliche diskriminierungsfreie Abschlussbezeichnung.
Diskriminierende Formen werden ersetzt
Mit der Abschlussbezeichnung "Fachpraktiker/Fachpraktikerin für . bzw. Fachpraktiker/ Fachpraktikerin im ." (Bezug zu anerkannten Ausbildungsberufen in sprachlich angemessener Form) sollen nicht nur als diskriminierend verstandene, überholte Begriffe wie "Helfer/-in" und "Werker/-in" abgelöst werden, sondern auch eine einheitliche, unmittelbar identifizierbare "Marke" etabliert werden.
Inzwischen sind auf Grundlage der Rahmenregelung folgende berufsspezifische Musterregelungen als Empfehlungen des BIBB-Hauptausschusses verabschiedet worden:
- Fachpraktiker im Verkauf/Fachpraktikerin im Verkauf
- Fachpraktiker Hauswirtschaft/Fachpraktikerin Hauswirtschaft
- Fachpraktiker für Metallbau/Fachpraktikerin für Metallbau
- Fachpraktiker für Bürokommunikation/Fachpraktikerin für Bürokommunikation
- Fachpraktiker für Holzverarbeitung/Fachpraktikerin für Holzverarbeitung
- Fachpraktiker Küche (Beikoch)/zur Fachpraktikerin Küche (Beiköchin)
- Fachpraktiker für Zerspanungsmechanik/Fachpraktikerin für Zerspanungsmechanik
Mehr Potenzial für Betriebe
BIBB und AFbM verfolgen das Anliegen und den berufsbildungspolitischen Ansatz, das eher begrenzte Spektrum an Berufsbereichen, die behinderten Menschen zur Qualifizierung auf der Grundlage von Ausbildungsregelungen tatsächlich offenstehen, zu erweitern. Insbesondere jungen Frauen möchte man Alternativen zur "herkömmlichen" Hauswirtschaft eröffnen. Hier kann die Erarbeitung von weiteren berufsspezifischen Musterregelungen Signalwirkung entfalten und Betriebe als auch die im Segment Ausbildungsregelungen relevanten Berufsbildungseinrichtungen wie insbesondere Berufsbildungswerke und Einrichtungen der wohnortnahen Rehabilitation ermuntern, Ausbildungsangebote in für die Personengruppe geeigneten, arbeitsmarktorientierten Berufsbereichen zu entwickeln. Da die berufsspezifischen Musterregelungen vom BIBB-Hauptausschuss beschlossen werden, bedarf es für diese Schritte der Bereitschaft und auch des Engagements der die Entscheidungsfindung im Hauptausschuss prägenden Sozialpartner.
Die von BIBB und AFbM getragene Entwicklung im Bereich der Fachpraktiker- und Fachpraktikerinnen-Berufe entspricht nicht nur dem Teilhabegebot des Grundgesetzes und dem Inklusionsgedanken der VN-Konvention für Menschen mit Behinderungen. Sie stellt in Zeiten - und im Zeichen - von demografischem Wandel und Fachkräftemangel auch ein zukunftsweisendes Vorgehen dar, bilden Fachpraktiker- und Fachpraktikerinnen-Ausbildungen doch ein Potenzial, das von Betrieben künftig stärker als bisher genutzt werden kann.