13.05.2011

Segen und Fluch der kooperativen Ausbildungsmodelle

von Dietmar Heisler

Fragt man Praktiker der Benachteiligtenförderung zur aktuellen Situation, entsteht ein eher düsteres Bild: Berichtet wird über Dumpingangebote in den Ausschreibungen und Ghostwriter bei den Angeboten, über das Zusammenbrechen von Trägerstrukturen, befristete Arbeitsverträge und sinkende Löhne, über die Verschärfung und Verdichtung der Probleme von Jugendlichen und darüber, dass es kaum mehr möglich ist, sinnvolle (sozial-)pädagogische Arbeit zu leisten.

Sozialpädagogen, Ausbilder, Stützlehrer oder auch Bildungsbegleiter beschreiben die Lage als ernst und die Situation in der Benachteiligtenförderung als angespannt und unsicher. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen wird es immer schwieriger, den Jugendlichen gute pädagogische Förderangebote anzubieten. Die nächste Gesetzes- und Instrumentenreform der Agentur für Arbeit steht unmittelbar bevor.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Zukunft der Benachteiligtenförderung. Die Beantwortung dieser Frage ist Gegenstand einer Expertise, die im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft örtlich regionaler Träger der Jugendsozialarbeit (BAG ÖRT) durch das Fachgebiet Berufspädagogik und beruflicher Weiterbildung der Universität Erfurt erarbeitet wurde. Der folgende Beitrag beruht auf den Ergebnissen dieser Expertise.

Bedeutung des Lernortes Betrieb nimmt stetig zu

Zudem findet offenbar eine Schwerpunktverlagerung im geförderten Maßnahmespektrum statt, bei dem sich die so genannte kooperative BaE-Form ("BaE 2") zunehmend durchsetzt. So erlebt die Benachteiligtenförderung derzeit eine "Dualisierung", bei der der Lernort Betrieb für die Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher zunehmend an Bedeutung gewinnt. In diesen kooperativen Maßnahmeformen findet ein großer Teil der praktischen Berufsausbildung im Betrieb statt. Für die Bildungsträger hat das einen Funktionswandel zur Folge. Lehrwerkstätten, Übungsfirmen, Lernbüros usw. werden für die praktische Ausbildung weitestgehend überflüssig. Außerbetriebliche Bildungseinrichtungen sind in diesen Modellen vielmehr zuständig für das Ausbildungsmanagement, die sozialpädagogische Unterstützung der Jugendlichen und für die Durchführung von Stützunterrichten. Obwohl den Bildungsträgern auch in diesen Modellen wichtige Aufgaben zugeschrieben werden, so wird doch befürchtet, dass die Verlagerung der Maßnahmen in den Betrieb möglicherweise einen Bedeutungsverlust der Bildungsträger zur Folge hat.

Die Meinungen zu den kooperativen Ausbildungsmodellen sind geteilt. Einerseits werden sie sehr positiv eingeschätzt: Aufgrund ihrer engen Anbindung an die Betriebe öffnen sich für die Jugendlichen erste betriebliche Erfahrungsräume und sie erleichtern so auch den Übergang von der Ausbildung in eine Beschäftigung. Frühere Projekte in denen kooperative Ausbildungsmodelle erprobt wurden, gelten als sehr erfolgreich. Sie betonen auch den hohen Stellenwert der Bildungsträger.

Sozialpädagogische Begleitung droht vernachlässigt zu werden

Allerdings ist auch auf kritische Aspekte hinzuweisen: So öffnen kooperative Maßnahmeformen den pädagogischen Schonraum, den die Fördermaßnahmen bisher eben auch darstellten. Der Fokus auf den Betrieb hat möglicherweise zur Folge, dass notwendige zusätzliche Förderangebote, wie die sozialpädagogische Begleitung oder Stützunterrichte Gefahr laufen vernachlässigt zu werden. Eigene Untersuchungen belegen, dass die Betriebe in der Vergangenheit an der Stelle immer auf ihrer Autonomie bestanden haben, auch bei der Ausbildung benachteiligter Jugendlicher. Die Kooperation mit Bildungsträgern durfte eines nicht sein, zeitaufwändig und belastend. Probleme werden zuerst im Betrieb geklärt. So stellt sich die Frage, ob diese kooperativen Modelle für alle Jugendlichen gleichermaßen geeignet sind.

Bei den Bildungsträgern der BIF sorgt die beschriebene Situation für Verunsicherung, oft gehen damit der Personalabbau und letztlich auch das Schließen von Einrichtungen einher. Nachhaltige konzeptionelle Entwicklungsarbeit wird unter diesen Bedingungen scheinbar zur Nebensache: Projektarbeit meint zuerst Bestandssicherung. Nur wenige Projekte und Modelle werden in den "Regelförderkatalog" der BIF transferiert, oft geht damit aber ein Verlust der zentralen konzeptionellen Bestandteile dieser Modelle einher. So ist fraglich, ob diese Modelle in der Regelförderung genauso erfolgreich sind, wie sie es während der Projektphase waren.

Der Wettbewerb der Träger erfolgt weniger über Konzepte und deren Profilierung, als vielmehr über die Reduktion von Kosten und Preisen. Die Vielfalt der Förderangebote, insbesondere im so genannten beruflichen Übergangssystem, wird sogar als unsystematisch und problematisch beschrieben. In der Förderpraxis geht es scheinbar nicht mehr um die Suche nach individuellen, subjektbezogenen Lösung, sondern es geht um die Suche nach dem erfolgversprechendsten und kostengünstigsten Förderkonzept, was Jugendliche schnell und effektiv in den ersten Arbeitsmarkt "befördert".

Viele Jugendliche profitieren nicht vom demografischen Wandel

Allerdings kommt es neben der Veränderung der formalen Rahmenbedingungen der Förderlandschaft offenbar auch zur Veränderung der Jugendlichen, die in die Maßnahmen einmünden. Im Vorfeld der Expertise wurden Interviews mit Sozialpädagogen und Ausbildern geführt. In den Ergebnissen deutet sich ein Wandel in der Zusammensetzung der Gruppe Jugendlicher an, die in die Maßnahmen einmünden. Die Pädagogen nehmen dies als Verdichtung von Problemen und Förderbedarfen wahr. Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Es wird angenommen, dass die Veränderung der Jugendlichen, die hier von den Pädagogen beschrieben wird, auch auf die Verbesserung der Situation am Arbeits- und Ausbildungsstellenmarkt zurückzuführen ist.

Fachkräftemangel und demografischer Wandel führen zu einer Verbesserung der Integrationschancen in eine betriebliche Ausbildung von Jugendlichen, die bisher als marktbenachteiligt galten. Dem steht eine Gruppe junger Menschen gegenüber, die von diesen Entwicklungen eben nicht profitieren und die nun in die Maßnahmen der Benachteiligtenförderung einmünden. Gemeint sind Jugendliche ohne Schulabschluss, junge alleinerziehende Mütter und Väter, gering- oder unqualifizierte junge Menschen, Migrantinnen und Migranten, Menschen mit Lernbehinderungen oder körperlichen Beeinträchtigungen u. a., für die auch weiterhin (sozial-)pädagogische Förder- und Ausbildungsangebote vorgehalten werden müssen.

An diese jungen Menschen werden sich die Angebote der Benachteiligtenförderung in Zukunft verstärkt richten. Anders formuliert: Was von den Pädagoginnen als Verschärfung der Problemlagen benachteiligter Jugendlicher wahrgenommen wird, ist möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass die Benachteiligtenförderung nun zunehmend mehr wieder mit ihrer eigentlichen Zielgruppe "konfrontiert" wird, mit sozial benachteiligten Jugendlichen, bei denen die Integration in betriebliche Erfahrungsräume und die Erziehung durch den Ausbilder eben nicht mehr ausreicht, um sie erfolgreich auszubilden. Hier stellt sich die Frage, ob die derzeit vorgehaltenen Angebote der beruflichen Bildung den Förderbedarfen dieser Gruppe junger Menschen tatsächlich gerecht werden.

Durchlässigkeit als höchstes Gut der Berufsbildung?

Die im Rahmen der Expertise untersuchten Modelle zeichnen sich häufig durch ein hohes Maß der Modularisierung, der Flexibilisierung und der Individualisierung aus. Betont wird vor allem die Transparenz, Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit an weiterführende Bildungsgänge, an die berufliche Weiterbildung und an den ersten Arbeitsmarkt sowie an nationale und internationale Qualifikationsrahmen und Leistungspunktesysteme. Um den verschiedenen Zielstellungen gerecht zu werden, brechen sie nun auch mit bisherigen Tabus der Benachteiligtenförderung.

Diese bisherigen Tabus werden sogar zu den zentralen konzeptionellen Eckpunkten der beruflichen Förderung benachteiligter Jugendlicher: So werden durch Flexibilisierung und Ausdifferenzierung der beruflichen Bildung unterhalb des bisherigen Facharbeiterniveaus, d. h. unterhalb dessen, was bisher als Beruf verstanden wurde, verschiedene neue Abschlussniveaus eingeführt. Einerseits können so Ausbildungserfolge der Jugendlichen kleinschrittig sichtbar gemacht, standardisiert und formal zertifiziert werden, andererseits liegt darin aber auch die Gefahr der Segmentierung und sozialen Hierarchisierung von Berufsabschlüssen. Die erhöhte Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit soll diese Kritik entschärfen. Insbesondere für leistungsstärkere Jugendliche kann dies durchaus den Weg in eine Hochschulausbildung eröffnen. Trifft das aber auch für sozial benachteiligte Jugendliche zu?

Zusätzliche Hürden für benachteiligte Jugendliche

Auch benachteiligte Jugendliche haben die Chance, den Zugang zu weiterführenden Bildungsgängen zu erhalten. Ihr Aufwand dafür, um auf dem Arbeitsmarkt letztlich die gleichen Zugangschancen zu erhalten wie andere Jugendliche, ist jedoch deutlich höher. Für sie sind damit meist eine zeitliche Verlängerung von beruflichen Qualifizierungsphasen sowie zusätzliche Prüfungen, z. B. für den Erwerb von Schulabschlüssen, verlängerte Einstiegsphasen in die Berufsausbildung durch Grundqualifikationen oder durch die Teilnahme an BVJ oder BvB usw. verbunden.

Gerade den Jugendlichen, denen es ohnehin schon schwerfällt, eine Berufsausbildung erfolgreich zu absolvieren, wird der Weg in weiterführende Bildungsgänge so noch zusätzlich erschwert - es werden zusätzliche Hürden aufgestellt, an den benachteiligte Jugendliche scheitern können. Chancengleichheit wird so zur Illusion und der Slogan "Aufstieg durch Bildung" ist kaum ernst zu nehmen.

Bedeutungsverlust der Bildungsträger

Aber auch für die Bildungsträger zeichnen sich grundlegende Veränderungen ab: Die Verlagerung des Maßnahmespektrums hin zu kooperativen Maßnahmeformen könnte einen Bedeutungsverlust der Einrichtungen verursachen. Untersuchungen haben aber auch gezeigt, dass die flankierende Unterstützung der Maßnahmen durch Sozialpädagogen sowie die enge Kooperation von Betrieben und Bildungsträgern wichtige Erfolgsfaktoren für die kooperative Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher sind.

Dennoch erscheint die Situation für die Bildungsträger unsicher: Eine kurz- oder mittelfristigen Verbesserung ihrer Situation in der Benachteiligtenförderung ist eher unwahrscheinlich. Demografischer Wandel und wirtschaftlicher Aufschwung führen zu einer Entschärfung und Verbesserung der Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt. Auch wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Jugendlichen an dieser erfreulichen Entwicklung des Ausbildungsstellenmarktes partizipieren, bedeutet es doch auch den weiteren Abbau außerbetrieblicher Ausbildungsplatzkapazitäten im Bereich der arbeitsmarktgeförderten Maßnahmen. Auf diese Entwicklung müssen sich Bildungsträger zunehmend einstellen.


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