27.03.2012
Die aktuelle Instrumentenreform - Auswirkungen auf die Jugendberufshilfe
Interview mit Tina Hofmann
Das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt und die mit ihm verbundenen Mittelkürzungen haben massive Auswirkungen auf die Jugendberufshilfe. Tina Hofmann vom Paritätischen Gesamtverband kritisiert, dass viele sinnvolle Projekte wegfallen und Spielräume eingeschränkt werden. Aus Sicht der Träger steigt vor allem der Kostendruck, eine fachliche Auseinandersetzung bleibe auf der Strecke.
Redaktion: Frau Hofmann, am 1. April treten zentrale Teile der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente in Kraft. Wo sehen Sie die wichtigsten Veränderungen?
Tina Hofmann: Den gravierendsten Schnitt sehe ich bei der Förderung Jugendlicher mit Arbeitsgelegenheiten. Im Jahr 2005 war noch jede zweite Fördermaßnahme für Jugendliche eine Arbeitsgelegenheit, im letzten Jahr noch jede fünfte. Damit ist jetzt Schluss. Es ist schon gut, dass Jugendliche nicht mehr massenhaft in Arbeitsgelegenheiten geschickt werden, um staatliche Fürsorgeleistungen zu legitimieren. Dass aber auch gute Förderung, die mit Arbeitsgelegenheiten geleistet wurde, zerstört wird, halte ich für falsch. Soziale Infrastrukturprojekte in benachteiligten Stadtteilen fallen weg, die nur mit Arbeitsgelegenheiten aufrechterhalten werden konnten. Unter dem Strich haben benachteiligte Jugendliche das Nachsehen.
Die Arbeitsmarktpolitik ist in den letzten Jahren mehrfach an aktuelle Anforderungen angepasst worden, die einzelnen Neuregelungen erscheinen vielen gar nicht so gravierend. Warum hat das Thema Instrumentenreform aus Ihrer Sicht soviel Staub aufgewirbelt?
Die Instrumentenreform hat zu sehr viel Kritik nicht nur von Wohlfahrtsverbänden, sondern auch von Gewerkschaften und Kommunalen Spitzenverbänden geführt, weil sie in erster Linie dazu dient, massiv viel Geld in der Arbeitsmarktförderung einzusparen. In den Jahren 2011 bis 2014 werden der Arbeitsmarktförderung 20 Mrd. Euro entzogen. Die Arbeitsagenturen und Jobcentern haben viel weniger Spielraum, um die neuen Förderinstrumente einzusetzen.
Das Gesetz soll Arbeitsmarktinstrumente bündeln, als wenig sinnvoll angesehene Förderinstrumente abschaffen und Qualitätsanforderungen steigern. Kann die Reform aus Ihrer Sicht die Erwartungen nach mehr Effizienz und Effektivität erfüllen, die die Bundesregierung mit ihr verbindet?
Mein Eindruck ist, dass die Schlagworte von Effizienz und Effektivität als Überschriften des Gesetzes nur gebraucht werden, um davon abzulenken, dass es letztlich um Kürzungen geht. Wie die Träger der Jugendberufshilfe die Qualität ihrer Arbeit steigern sollen, trotz steigenden Kostendrucks und ohnehin schwierigster Rahmenbedingungen, ist mir schleierhaft. Eine fachliche Auseinandersetzung zu Begriffen wie Effektivität und Effizienz in der Jugendberufshilfe ist ohnehin auf der Strecke geblieben. Dann müsste man z.B. danach fragen, welche Ziele in der Jugendberufshilfe verfolgt werden sollen und was für eine gute Förderung junger Menschen wichtig ist.
Die Ministerin, Frau von der Leyen, will mit der Reform den Schwerpunkt auf junge Menschen im Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf legen. Und über die Prävention hinaus sollen in der Berufsorientierung die besonderen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und von schwerbehinderten Schülerinnen und Schülern berücksichtigt werden. Hat sich der Blick auf die Jugendlichen in der Arbeitsmarktpolitik verändert?
Arbeitsmarktpolitik will an dieser Stelle die Inklusion behinderter junger Menschen voran bringen. Es sollen nicht mehr so viele junge Menschen in die Werkstätten für behinderte Menschen gelangen. Dafür konzentriert man sich auf präventive Maßnahmen am Übergang von der Schule in den Beruf. Im Gegenzug werden Lücken bei sozial benachteiligten Zielgruppen aufgerissen, wie bei Jugendlichen, die auch noch nach der Schule großen Unterstützungsbedarf haben. Aber auch für behinderte junge Erwachsene gibt es spätestens nach der Ausbildung nicht genügende Unterstützungsangebote, vor allem bei dem oft schwierigen Weg in den Beruf.
Die Kommunen sind die großen Verlierer der Kürzungen in der Arbeitsmarktförderung. Verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit und wegfallende soziale Projekte gehen voll zu ihren Lasten.
Als Problem der Arbeitsmarktpolitik werden immer wieder die verschiedenen Zuständigkeiten genannt. Mit dem neuen Gesetz soll zumindest in der Berufsorientierung die Trennung der Rechtskreise aufgehoben werden, die Leistungen sollen einheitlich von den Arbeitsagenturen erbracht werden. Bewerten Sie das als Fortschritt?
Diese Regelung schafft etwas mehr Übersicht im Übergangsgeschehen, weil die Doppelzuständigkeit von Jobcentern und Arbeitsagenturen aufgehoben wird. Das sehe ich grundsätzlich positiv. Ansonsten bewegt die Instrumentenreform nicht viel Gutes an den Schnittstellen der unterschiedlichen Gesetze und Akteure. Im Gegenteil: Die Kommunen sind die großen Verlierer der Kürzungen in der Arbeitsmarktförderung. Verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit und wegfallende soziale Projekte gehen voll zu ihren Lasten.
Die freie Förderung ist neu geregelt. Als Ergebnis des Vermittlungsverfahrens von Bund und Ländern sollen in der Berufsvorbereitung künftig Produktionsschulansätze und konzeptionelle Ansätze von Jugendwerkstätten berücksichtigt werden können. Verbessert sich der Spielraum, um flexible Angebote zu machen, die den jeweiligen Voraussetzungen der Jugendlichen entsprechen?
Der Anspruch nach mehr Flexibilität wird mit der Instrumenterenform nicht eingelöst. An sich sinnvolle Produktionsschulansätze werden in das Ausschreibungsgerüst der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen gepresst, mit vermutlich negativen Folgen für die Qualität und Flexibilität dieses Ansatzes. Beim Einsatz der freien Förderung müssen sich die Jobcenter entscheiden, ob sie die gedeckelten Mittel für benachteiligte Jugendliche oder für Langzeitarbeitslose ausgeben. Das schafft Zielkonflikte, die nicht in der Sache begründet sind. Trotz aller Restriktionen sollten die Jobcenter alles daran setzen, mit der freien Förderung wegfallende Förderprojekte für benachteiligte Jugendliche zu ersetzen, am besten in Kooperation mit den Jugendämtern.
Für Träger und Maßnahmen ist ab jetzt eine Zulassung einer fachkundigen Stelle Voraussetzung für die Förderung. Was bedeutet das für die Arbeit der Träger?
Träger der Jugendberufshilfe müssen sich jetzt ganz grundsätzlich die Frage stellen, ob sie die geforderten Veränderungen in ihren Organisationen mitgehen wollen oder aber aus der Arbeitsförderung aussteigen. Für die Trägerzulassung müssen sich Träger ein Leitbild und eine "Unternehmensstruktur" verschaffen, die auf die Eingliederung von Arbeitslosen in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt ausgerichtet ist. Die Zulassung kostet mehrere tausend Euro, den sonstigen internen bürokratischen Aufwand für den Träger noch nicht eingerechnet.#
Welche Auswirkungen werden die Reformen auf die Förderlandschaft haben?
Durch die massiven Kürzungen wird es starke Veränderungen in der Förderlandschaft geben. Es werden wohl nur größere Träger überleben, die sich nicht alleine auf die Arbeitsförderung konzentrieren, sondern in anderen Feldern sozialer Arbeit aufgestellt sind. Jugendlichen kommt das nur zugute, wenn diese Träger trotzdem dezentral und vernetzt in der Region arbeiten und ein Standbein in der Jugendhilfe haben.
Derzeit ist das gesamte Feld der Jugendberufshilfe im Umbruch. Das sogenannte Übergangssystem soll abgebaut werden, wer Unterstützung braucht, soll diese nach Möglichkeit in den Regelsystemen beruflicher Bildung bekommen. Wie sehen sie im Kontext der Reformen, aber auch darüber hinaus die Zukunft der Jugendberufshilfe? Wo liegen Chancen, wo Risiken?
Jugendberufshilfe hat nach meiner Ansicht ihren berechtigten Platz in den Regelsystemen beruflicher Bildung, weil sie dort - von der Schule bis zur Berufsausbildung - Unterstützung für benachteiligte Jugendliche leistet und Jugendliche an den Übergangen begleitet. Wenn Jugendliche an den Übergängen trotzdem scheitern oder in den Regelsystemen keinen Platz finden, darf man sie aber nicht verloren geben. Die Reform des Übergangssystems darf nicht zu einer Ausgrenzung von "schwierigen Jugendlichen" führen. Eine Gefahr sehe ich auch darin, dass die Träger in ihrer Dienstleistungsrolle als Sündenböcke für das Wirrwarr der Förderprogramme herhalten müssen. In ihrer sozialpolitischen und anwaltschaftlichen Rolle sind sie nicht stark genug, eine Reform des Übergangssystems durchzusetzen, solange Bund und Länder keine Entscheidungen treffen.