25.03.2017
Inklusive Ausbildung im Modellprojekt InkA
Gute Praxis am Paul-Ehrlich-Institut
von Elsa Schumacher
Im Projekt InkA werden Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam ausgebildet. Beteiligt ist hierbei das Unternehmensforum, eine Arbeitgeberinitiative, deren Ziel es ist, den Inklusionsgedanken der UN-BRK in mehr Unternehmerköpfe zu bringen. Mitglied im Netzwerk sind Behörden, große Konzerne und mittelständische Unternehmen der deutschen Wirtschaft, daher erhält das Modellprojekt viel Aufmerksamkeit. Auch das Paul-Ehrlich-Institut nimmt teil und bildet inklusiv aus.
Andrea Nahles im Gespräch mit Auszubildenden
Annetraud Grote arbeitet als Juristin im Personalreferat des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Das PEI, erklärt sie, ist der bundesweite TÜV für Impfstoffe. Daher hat jeder schon einmal indirekt mit der Bundesbehörde, in der rund 800 Mitarbeiter arbeiten, zu tun gehabt. Sie koordiniert dort das Projekt InkA, in dem schwerbehinderte und nicht-behinderte Jugendliche gemeinsam ausgebildet werden. Im August 2013 begann der erste InkA-Jahrgang seine duale Berufsausbildung, 2014 und 2015 folgten weitere.
Träger des InkA-Projekts ist das Unternehmensforum, eine Arbeitgeberinitiative, die sich seit 2002 für mehr Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Wirtschaft engagiert. Vertreten sind hier derzeit 25 große deutsche Unternehmen und Behörden, wie zum Beispiel die Deutsche Bahn AG, Fraport, die ING-DiBa, das Robert-Koch-Institut, BASF, Boehringer Ingelheim, SAP und andere „Wir machen viel Öffentlichkeitsarbeit und versuchen andere Arbeitgeber für Inklusion zu sensibilisieren. Zudem beraten wir und sind mittlerweile ein geschätzter Partner des BMAS“, sagt Annetraud Grote.
Bei InkA sollten 40 neue Ausbildungsplätze für schwerbehinderte Jugendliche geschaffen werden. Die Motive der Unternehmen, sich an dem Projekt zu beteiligen, waren nicht „caritativer“ Natur. „Unternehmen rechnen und daher muss es immer auch eine wirtschaftliche Perspektive bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung geben“, weiß Grote. „In Zeiten des Demographiewandels braucht man Menschen mit Behinderung, und das gilt heute mehr denn je.“
Eine Erwerbstätigkeit unter passenden individuellen Rahmenbedingungen ist das vorrangige Ziel auch für Menschen mit Beeinträchtigungen.
Koordination des Bewerbungsverfahrens
Dennoch finden Betriebe und behinderte Jugendliche nur selten zusammen. Viele Unternehmer berichteten, dass sie gar keine Bewerbung von jungen Menschen mit Behinderung bekämen. Wie das kommt? „Es kann sein, dass Menschen mit Behinderung in der Bewerbung ihre Behinderung gar nicht angeben, weil sie sich nicht trauen, weil sie von Eltern oder in der Schule anders beraten wurden oder weil sie schon viele Rückschläge erlebt haben“, sagt Grote, die die Jugendlichen im Rahmen von InkA dazu befragt hat. Das neue Projekt sollte daher gewährleisten, dass es kein Makel ist, seine Behinderung anzugeben, sondern dass es in diesem Fall ein Vorteil ist. Daher wurden Stellenausschreibungen geschaltet, die sich nur an Menschen mit einer Schwerbehinderung richteten. Die Bewerberinnen und Bewerber sollten sich also nicht mit einer zu großen Konkurrenz messen – mussten aber die Aufnahmeprüfung bestehen und sich im Vorfeld natürlich für den von ihnen bevorzugten Ausbildungsberuf entscheiden.
Das PEI steuerte das Bewerbungsverfahren, indem jede Bewerbung an den entsprechenden Betrieb weitergeleitet und der Stand des Verfahrens beobachtet wurde. So musste bei den beteiligten Unternehmen manchmal nachgefragt werden: Habt ihr euch gekümmert? Was ist aus dem Jugendlichen geworden? Außerdem stellte das PEI schon frühzeitig die ersten Kontakte zu den Ämtern her. Jeder beteiligte Betrieb musste zwar Anträge auf Zuschüsse selbst stellen - aber das PEI unterstützte durch Ideen zu abrufbaren Zuschüssen oder Tipps für geeignete Hilfsmittel bei der Ausgestaltung des konkreten Ausbildungsplatzes. Dafür wurden eigens Checklisten und Formulare entwickelt und zur Verfügung gestellt. Viele Ausbildungsbetriebe hatten zuvor schon Erfahrungen mit dem hohen administrativen Aufwand gemacht, den es kostete, die richtigen Ansprechpartner in den Behörden zu finden. Das alles sollte durch den Einsatz eines Koordinators kompensiert werden.
Hohe Leistungsbereitschaft der Azubis
Unter den Auszubildenden im InkA-Projekt sind Menschen mit Sehbehinderung, Hörbehinderung, inneren Erkrankungen oder Autismus. Sie haben sich für anspruchsvolle Ausbildungsberufe entschieden: Vierzehn verschiedene Berufe wurden während der InkA-Laufzeit ausgeschrieben – vom Anlagenmechaniker bis zum Verwaltungsfachangestellten. Ausbildungsplätze zum/r Fachpraktiker/in nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) waren nicht darunter. Beim PEI konnten sich Jugendliche als Biologielaborant, als Tierpfleger oder als Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement bewerben. Menschen mit so genannter Lernbehinderung können bislang im PEI nicht ausgebildet und daher auch nicht inkludiert werden.
Viele Bewerberinnen und Bewerber mit Beeinträchtigung sind während ihrer Berufsorientierungsphase gravierenden Einschränkungen in der Selbstbestimmtheit ausgesetzt. Dazu gehörten nicht selten fremdbestimmte Erfolgseinschätzung: Das Vorurteil der eingeschränkten Leistungsfähigkeit gibt es immer noch. Nur wenige "Sonderschulen" führen bis zum Abitur. Zudem werden Menschen mit Behinderung meistens Angebote für eine Ausbildung in einem Berufsbildungswerk gemacht. Doch eine betriebliche Ausbildung zählt bei den Arbeitgebern mehr als eine Ausbildung in einem Berufsbildungswerk. Und daraus ergibt sich, dass durch berufliche Sonderwege nach einem schulischen Sonderweg weitere berufliche Wege in der Zukunft verbaut werden. Annetraud Grote selbst ist lebender Beweis für den Erfolg eines inklusiven Bildungswegs. Sie hat mit einer Schwerbehinderung an einem ganz normalen Gymnasium Abitur gemacht und Jura studiert und weiß, dass Menschen mit Behinderung Experten in eigener Sache sind. "Sie können sehr viel besser über ihre Bedürfnisse sprechen, als dies Eltern, Lehrer oder Ausbilder können".
Seit 2009 gibt es die UN-BRK – und dadurch eine rechtliche Grundlage für die reguläre Ausbildung im Betrieb von Menschen mit Behinderung, die die gleichen Rechte auf Zugang zu Bildung, Ausbildung und Studium haben. Die Bundesregierung hat sich mit der Initiative Inklusion bis 2018 zum Ziel gesetzt, 1.300 neue betriebliche Ausbildungsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen und dafür 15 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Doch trotz der Beratung für Unternehmen wie für Jugendliche in den Arbeitsagenturen gelingt dies nur selten.
Manche Bewerber verschweigen ihre Behinderung in Bewerbungen, weil sie mit ihren Fähigkeiten und ihrer Persönlichkeit angenommen werden wollen, nicht weil sie eine Behinderung haben. Ärgerlich ist für viele, die sich nach Anregung des Reha-Beraters der Arbeitsagentur auf Ausbildungsstellen im öffentlichen Dienst bewerben, dass sie zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, obwohl ihr Bewerberprofil dem Arbeitgeber gar nicht zu passen scheint; in den Fällen wird die gesetzliche Regelung, die mehr Chancen im Berufsleben eröffnen soll (SGB 9 § 82 Abs. 3), durch die Vermittlungspraxis der Bundesagentur als demütigend empfunden.
Vernetzte Strukturen der an Ausbildung Beteiligten
5. Inka-Projekttreffen im Oktober 2015
Wie dies auch bei anderen Formen der unterstützen Ausbildung üblich ist, engagiert sich das PEI als dritte Kraft auf Seiten der Betriebe als auch auf Seiten der Auszubildenden. Ganz wichtig sei die Erkenntnis, dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung vernetzte Strukturen brauche, sagt Annetraud Grote. Simpel gesagt bedeutet dies, dass diejenigen, die Geld geben und die, die Arbeit geben, zusammensitzen mit denen, die arbeiten oder sich in einer Ausbildung befinden. „Wir hatten immer die Arbeitsagentur und das Integrationsamt sowie die Berufsschulen mit im Boot, so dass alle Erwartungen geklärt werden konnten und alle notwendigen Hilfsmittel gleich zur Verfügung standen." Annetraud Grote klagt über die Vielzahl an Mitarbeitern in Behörden mit je eigenen Zuständigkeiten. Ihr sei es ein großes Anliegen, dass man hier Koordinationsstellen schaffe, die eine Lotsenfunktion während der Ausbildung oder Beschäftigung übernehmen könnten. Wenn der Betrieb nur einen Ansprechpartner hätte - dann wäre vieles einfacher.
Mithilfe von InkA wurde den Jugendlichen nicht nur die Brücke in die Ausbildung gebaut, sondern sie und die Betriebe werden während der ganzen Ausbildung begleitet. So werden zweimal im Jahr Seminare für die Azubis angeboten. Thematisiert werden dort Fragen wie „Wie gehe ich mit Konflikten in der Ausbildung um?“ oder „Wie verbessere ich mein Zeitmanagement?“ und zudem gibt es hier ein Bewerbungstraining. Denn nach der Ausbildung werden die Jugendlichen wieder vor die Herausforderung gestellt, sich optimal präsentieren zu müssen.
„Wir helfen bei der Prüfungsvorbereitung, wir helfen bei persönlichen Problemen, wir helfen bei der Gewährung von Nachteilsausgleichen und wir unterstützen natürlich die Betriebe bei den verschiedenen Hilfestellungen, die sie brauchen. Wir versuchen also der Lotse zu sein, den wir gerne gesetzlich implementiert sähen“, beschreibt Grote weiterhin ihre Aufgaben als Koordinatorin. Lotsen, die Betriebe und Auszubildende über einen langen Zeitraum kontinuierlich begleiten und sofort wissen, worauf es am Arbeits- oder Ausbildungsplatz ankommt, würden den Aufwand im Rahmen der inklusiven Ausbildung für die Beteiligten erheblich erleichtern.
Wir versuchen also der Lotse zu sein, den wir gerne gesetzlich implementiert sähen.
Zweimal im Jahr trifft man sich auch mit den betrieblichen Ausbildern, die allesamt offen und engagiert am Projekt beteiligt sind. Ganz wichtig sei es, dass alle Ausbilder ihre Ausbildungsstrukturen an die Bedürfnisse der schwerbehinderten Jugendlichen anpassen müssten. Die Bedürfnisse seien sehr individuell und abhängig von Persönlichkeit und Beeinträchtigung des/r Einzelnen. Für die Ausbildung eines stark sehbeeinträchtigten Auszubildenden bedeutet dies zum Beispiel das Bereitstellen von Lupen und größeren Monitoren (als Nachteilsausgleich). Für eine andere Auszubildende wird eine Teilzeitberufsausbildung organisiert, da die körperliche Präsenz in Vollzeit für sie nicht zumutbar ist. Welche Formen der Hilfen es gibt und was man über verschiedene Formen der Behinderung wissen sollte, darüber erfahren die Ausbilder viel im Projekt InkA. „Wir wollen versuchen, alle Akteure der Berufsausbildung zu professionalisieren“, erklärt Annetraud Grote. Die Ausbildungskoordinatorin im PEI hat vor drei Jahren die rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation (ReZA) absolviert. Diese Weiterbildung wurde aber innerhalb des Unternehmensforums nicht zum Standard erhoben.
Der finanzielle Rahmen von InkA umfasst von 2013 bis 2019 insgesamt ca. 2,9 Millionen Euro. Das BMAS hat dabei großzügig unterstützt. Aber auch alles, was die Integrationsämter geben und was die Betriebe miteinbringen, ist hier miteinberechnet. Auf der Ausgabenseite stehen nicht nur die verschiedenen Mittel des Nachteilsausgleichs, sondern auch die Aufwendungen für die Koordination, Öffentlichkeitsarbeit und die Evaluation durch die Universität Köln.
Inklusion in der Berufsausbildung fördert nicht nur die Kompetenz der behinderten Auszubildenden, sondern auch die Kompetenz der nichtbehinderten Auszubildenden, die Berührungsängste mindern und Vorurteile überprüfen konnten. Dies wissen die Ausbilderinnen und Ausbilder im PEI aus Erfahrung. Schwierigkeiten unter den Jugendlichen treten weniger wegen der Behinderung des ein oder anderen auf, sondern eher wegen der unterschiedlichen schulischen Vorbildung. Jugendliche, die eine Förderschule besucht haben und über einen Realschulabschluss verfügen, seien im Verhältnis zu den Gymnasiasten mit Abitur als schlechter qualifiziert wahrgenommen worden, berichtet Annetraud Grote. Tatsächlich hätten einige von ihnen viel Lernstoff nachholen müssen – aber dies erfolgreich bewerkstelligt und sich „durchgebissen“. Am PEI wurde dies einerseits möglich durch Azubis der vorangehenden Jahrgänge, die Nachhilfe gaben, als auch durch den Ausbilder, der Stützunterricht erteilte. Viele Ausbildungsverbünde beim InkA-Projekt ergänzten den Unterricht noch mal durch extra Lerneinheiten. Annetraud Grote argumentiert aus Arbeitgebersicht dennoch für die Ausbildung von Realschülern: viele Azubis mit Abitur gingen nämlich nach der Ausbildung ins Studium – die habe man quasi umsonst ausgebildet. Betriebswirtschaftlich gesehen sei das ein Fiasko. Aber auf die Realschüler könne man in der Zukunft als neue Mitarbeiter zählen.
Vom Modellprojekt in die Zukunft
Aus den gesammelten Erfahrungen geht hervor, was zuvor als Postulat im Raum stand: nämlich dass qualifizierte Menschen mit Behinderungen einen gleichwertigen Beitrag im Berufsleben leisten können wie Menschen ohne Behinderung, wenn man ihnen entsprechende Hilfsmittel und Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt. Und dass sich die Investition in die Ausbildung von Menschen mit Beeinträchtigung für Betriebe lohnt!
Das InkA-Projekt wird spätestens 2019, nach fünfeinhalb Jahren, abgeschlossen sein und als Modell in der Form nicht wiederholt. Stattdessen beabsichtigen die beteiligten Ausbildungsbetriebe für sich inklusiv auszubilden – und sich dabei auf Checklisten, Informationsseiten und Erfahrungen aus dem Projekt zu stützen. Schon 2016 wurden -projektunabhängig- neue Azubis mit Beeinträchtigung aufgenommen. Ob es mittelfristig eine Koordinationsstelle in den Behörden gibt, ist fraglich. Die Evaluationsergebnisse, die sukzessive auf der Website des Unternehmensforums veröffentlicht werden, macht man zudem einem noch weiteren Kreis zugänglich.
- Unternehmensforum
Das UnternehmensForum ist ein bundesweiter und branchen-übergreifender Zusammenschluss von Konzernen und mittelständischen Firmen, die Menschen mit Einschränkungen oder Leistungsminderung die volle Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen wollen. - Paul-Ehrlich-Institut (PEI)
Das Paul-Ehrlich-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Es fördert durch Forschung und Prüfung Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit biomedizinischer Arzneimittel.