08.11.2018 | Redaktion
Ethnische Herkunft statt Migrationserfahrung
Kritik an der Erfassung des Migrationshintergrunds im Mikrozensus
Änderungen in der Definition und Erhebung des Migrationshintergrunds im Mikrozensus machen deutlich, dass die ethnische Abstammung im Vordergrund steht und die Migrationserfahrung vernachlässigt wird. Das stellt die Sozialanthropologin Anne-Kathrin Will in einer aktualisierten Expertise für den MEDIENDIENST Integration heraus.
Der Mikrozensus ist eine der wichtigsten Datenquellen, um Fragen zur Lebenssituation der Bevölkerung in Deutschland zu beantworten. Die Daten beeinflussen politische Zielvorgaben, z.B. in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Auf Grundlage des Mikrozensusgesetzes werden seit 2005 Daten zum Migrationshintergrund von Personen erhoben.
Eine Überarbeitung dieses Gesetzes im Jahr 2016 hat laut Anne-Kathrin Will zu steigender Intransparenz sowie höherer Komplexität geführt. Will betont, dass diese Gesetzesneuerungen nicht zu einer besseren Abbildung der Vielfalt der Menschen in Deutschland beitragen, sondern die Betrachtung der ethnischen Abstammung in den Fokus rücken.
Darüber hinaus geben die Daten keinen Aufschluss über Diskriminierung und Ausgrenzung. Die daraus resultierenden Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt oder im Bildungssystem werden nicht abgebildet.
Komplexität der Datenerhebung
Die Zuordnung zu "Personen mit Migrationshintergrund" scheint im öffentlichen Diskurs sehr einfach, jedoch ist die statistische Erfassung weitaus komplexer. Befragte Personen ordnen sich nicht nach eigener Einschätzung in Hinblick auf die Alltagserfahrungen und den persönlichen familiären Hintergrund dieser Kategorie zu. Mithilfe des Themenkomplexes "Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund", der bis zu 27 Fragen enthält, wertet das Statistische Bundesamt die Antworten aus und nimmt die Zuordnung vor.
Will bezeichnet diese Zuordnung als nicht transparent, die außerdem die Migrationserfahrung, die der Begriff "Migrationshintergrund" eigentlich nahelegt, kaum berücksichtigt.
Deutsche mit deutschen Vorfahren als Referenzkategorie
Die Auswertung der Statistiker hat zur Folge, dass Kinder von Deutschen ohne Migrationshintergrund selbst auch nie einen Migrationshintergrund haben, Kinder von Zugewanderten hingegen immer, auch wenn sie bereits in dritter Generation in Deutschland leben.
Das bedeutet, dass Kinder, die seit ihrer Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und zugleich deutsche Eltern haben, aber im Ausland geboren wurden grundsätzlich keinen Migrationshintergrund haben. In Deutschland eingebürgerte Menschen vererben hingegen ihre Migrationserfahrung an ihre in Deutschland geborenen Nachkommen.
Will kritisiert, dass die Zuschreibung eines Migrationshintergrunds die Nachkommen von Zugewanderten stigmatisiere und damit keinen Raum für ein vielfältiges Deutschsein biete. Sie sieht erheblichen Nachbesserungsbedarf und weist darauf hin, dass grundsätzliche Fragen in der Definition von Migration zu klären sind.
Weitere Informationen
- Expertise
Die Expertise von Anne-Kathrin Will sowie weiterführende Informationen können Sie auf den Seiten des MEDIENDIENST Integration finden.