19.12.2024 | Redaktion | WSI
"Bürgergeld ist nicht zu hoch"
Blog-Serie des WSI hinterfragt "Mythen der Sozialpolitik"
In einer Blog-Serie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) zu "Mythen der Sozialpolitik" setzen sich Forschende mit Klischees in der aktuellen sozialpolitischen Debatte auseinander. Als ein solches Klischee sieht Jutta Schmitz-Kießler, Professorin am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Bielefeld, die Behauptung, das Bürgergeld sei zu hoch und mache Arbeit unattraktiv. Tatsache sei jedoch: "Die Grundsicherung ist von 2005, dem Inkrafttreten der Hartz-Reformen, bis 2023 etwa im gleichen Maße gestiegen wie die Preise – und weniger als die Löhne."
Jutta Schmitz-Kießler / Bild: Hochschule Bielefeld
Die Debatte ums Bürgergeld flammt immer wieder auf. Dabei kursieren "eine Vielzahl populistischer Thesen, aber wenig Fakten", so Jutta Schmitz-Kießler. So würde häufig die jüngste Anpassung der Regelbedarfe als überzogen kritisiert und gefordert, das vermeintlich üppige Bürgergeld nicht weiter zu erhöhen, um mit Nullrunden für Arme den Staatshaushalt zu entlasten. Es sei aber nicht nur die Grundsicherung in den vergangenen 20 Jahren im gleichen Maße gestiegen wie die Preise – auch die Erhöhung Anfang des laufenden Jahres werde lediglich die Preissteigerung ausgleichen, aber nichts daran ändern, dass das Bürgergeld hinter der Lohnentwicklung zurückbleibe. Im kommenden Jahr würden die Regelsätze nicht erhöht, was für Bedürftige reale Verluste bedeute. Das Bürgergeld zu kürzen wäre "eine fatale Fehlentscheidung, gerade für diejenigen, die zu den Schwächsten der Gesellschaft gehören", so Schmitz-Kießler.
Bürgergeld macht 4,2 Prozent des Sozialbudgets aus
Aus Sicht der Expertin für Sozialpolitik ist auch die Vorstellung abwegig, das Bürgergeld sei ein entscheidender Posten im Staatshaushalt. Tatsächlich mache es mit rund 54 Milliarden Euro jährlich gerade einmal 4,2 Prozent des gesamten Sozialbudgets aus. Jutta Schmitz-Kießler: "Das legt nahe, dass Einsparungen im Grundsicherungssystem keineswegs horrende Beträge freisetzen und anderweitig Investitionen möglich machen würden." Und schließlich stimme auch der Mythos nicht, das Bürgergeld lade zum Nichtstun auf Staatskosten ein, weil sich die Aufnahme einer Arbeit gar nicht lohnen würde. Die Grundsicherung sei nämlich so konstruiert, dass eine Person, die – wenigstens einen kleinen – Job annehme, immer mehr Einkommen habe als jemand ohne Erwerbsarbeit.
Zudem sei es rechtlich strittig, ob Leistungen, die das soziokulturelle Existenzminimum sichern sollen, überhaupt gekürzt werden können. Nicht zuletzt sei es eine Illusion zu glauben, die meisten Grundsicherungsbeziehenden hätten die freie Wahl zu arbeiten: "Rund ein Drittel ist gar nicht erwerbsfähig, die meisten davon sind Kinder. Elf Prozent haben ganz normale ungeförderte Jobs, mit schlechter Bezahlung oder zu wenigen Arbeitsstunden. Ebenso viele sind in Ausbildung, acht Prozent sind wegen Erziehungs- oder Pflegeaufgaben von der Arbeitssuche freigestellt. Viele leben zudem in strukturschwachen Regionen, in denen es schlicht keine passenden freien Stellen gibt."