28.07.2011
Angebote koppeln und Menschen zu ihrem Ziel bringen
BONN - ein Beispiel guter Praxis aus Nordfriesland
von Petra Lippegaus-Grünau
Berufsorientierungsmaßnahmen sollen Jugendlichen Anschlüsse und Abschlüsse sichern. Die Vielfalt der Angebote, Zuständigkeiten und Akteure erschwert aber Kontinuität, strukturiertes Vorgehen und individuelle Wege. Wie es gelingen kann, Bundesprogramme wie die Potenzialanalyse, Werkstatttage und Landesprogramme zu tragfähigen Ketten individueller Förderung zu verbinden, zeigt das Beispiel "Berufliche Orientierung Nordfriesland Nord" (BONN).
Kennen Sie eigentlich Niebüll? Wenn man nach Amrum fährt, muss man von Niebüll nach Dagebüll. Nach Dagebüll, wo die Fähre ablegt, fährt die Norddeutsche Eisenbahngesellschaft. Es sei denn, man fährt zur Hauptsaison, dann setzt die Deutsche Bahn Kurswagen ein. Diese werden in Niebüll an die Privatbahn angekoppelt. Vorwärts kommt man also durch eine besonders gelungene Verkoppelung von Elementen verschiedener Akteure. Eigentlich passen die Elemente nicht von vornherein zusammen, laufen aber auf derselben Spur, führen zum selben Ziel.
In der Berufsorientierung wird häufig beklagt, dass es zwar viele Angebote gibt, diese aber nebeneinander herlaufen oder Anschlüsse nicht funktionieren. Diese Elemente heißen Kompetenzfeststellung, Werkstättenprogramme, Praktika, Begleitung oder Coaching - bleiben sie unverbunden oder fahren alle nur eingleisig, bringen sie die Jugendlichen aber nicht wirklich weiter.
"Mit Pauschalreisen kann man die Jugendlichen nicht packen." weiß Hauke Brückner aus Niebüll. Er ist Geschäftsführer der Bildungs- und Arbeitswerkstatt Südtondern gGmbH (BAW) und damit einer der Partner des Projekts Berufliche Orientierung Nordfriesland Nord (BONN). Hier werden die Potenzialanalyse und die Werkstatttage aus dem Berufsorientierungsprogramm (BOP) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit der Schule und dem Coaching aus dem Landeskonzept Schule & Arbeitswelt vernetzt. In regionalen Bündnis- und Arbeitskreisen stimmen die Partner gemeinsam ihr Konzept ab und bauen die einzelnen Bausteine systematisch und flexibel aufeinander auf. Ziel ist es - alternativ zu den Pauschalangeboten - jedem und jeder Jugendlichen genau das passende Angebot zusammenzustellen und die notwendige Unterstützung zuzusichern. Passend: das heißt hier individuell, an den Stärken ansetzend, praxisbezogen und orientiert am ersten Arbeitsmarkt.
Drei Dienstleister - ein Fahrplan
Den Hut (bzw. die Dienstmütze) auf hat die Bildungs- und Arbeitswerkstatt Südtondern gGmbH (BAW). In der Tradition des Jugendaufbauwerks sieht die BAW es als ihre Aufgabe, individuell und stärkenorientiert für den ersten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu qualifizieren. "Vermeintlich Benachteiligte" - so Brückner - "sehen wir als Menschen, die etwas können."
33 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten in Maßnahmen zur Berufsvorbereitung, Ausbildung und Beschäftigung, auch eine Produktionsschule gehört dazu. Ein neuerer Schwerpunkt liegt darauf, Benachteiligungen zu vermeiden und präventiv schon in der Schule mit den Jugendlichen zu arbeiten.
Bild: Berufliche Orientierung Nordfriesland Nord
Seit vielen Jahren funktioniert die Zusammenarbeit mit der Kreishandwerkerschaft Nordfriesland Nord. Hier arbeiten acht Mitarbeitende in Lehrwerkstätten im Bereich Bauhaupt- und Baunebengewerbe, in der Innungsvertretung, der Ausbildungsbetreuung und der Akquise von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen.
Die beiden Partner sind schon räumlich eng verbunden: sie liegen nur 600 Meter auseinander. Kurze Wege bilden eine gute Voraussetzung für Absprachen zu aktuellen "Fahrplänen", aber auch für individuelle Anschlüsse. Von der Bushaltestelle gehen die einen Jugendlichen zur BAW, die anderen nutzen gleichzeitig die Werkstätten der Kreishandwerkerschaft.
Als dritter Partner stellen die Schulen die Weichen mit. Im Projekt BONN beteiligen sich alle Schulen der Region, die zum Hauptschulabschluss führen. Das sind derzeit sieben Schulstandorte mit jährlich 280 teilnehmenden Jugendlichen. Die Qualität der Zusammenarbeit hängt dabei - wie immer - auch von persönlichen Kontakten und Rahmenbedingungen ab.
Besonders gut gelingt die Zusammenarbeit mit den sogenannten Flex-Klassen Bredstedt. Hier sieht einiges anders aus als in "normalen Schulen". Drei Klassen bilden eine räumliche Einheit, in der Lehrkräfte und Bildungscoaches als Team arbeiten und Unterricht so neu definieren. Sie verstehen die Klasse als Lernort für lernschwache Haupt- und leistungsstarke Förderschüler/innen, die hier flexibel nach zwei oder drei Jahren den Hauptschulabschluss erwerben können. Ziel ist es, die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler zu stärken. Die Flex-Klassen sollen Erfolgserlebnisse schaffen und die Lern- und Leistungsmotivation steigern. Neben dem Hauptschulabschluss legt das Team verstärkt Wert auf berufliche Orientierung und darauf, die Schülerinnen und Schüler in Ausbildung und Arbeit zu vermitteln.
Die Arbeit am gleichen Ziel, ein gutes Einvernehmen und ein kollegiales Verhältnis - das ist das Fundament der Kooperation im Projekt, den Ausgangspunkt dafür, dass alle Partner ihre Arbeit einbringen, miteinander verkoppeln und so die Entwicklung der Jugendlichen vorwärts bringen.
Der Streckenverlauf
Die gemeinsame Aufgabe lautet, der Berufsorientierung eine Struktur zu geben, die individuelle Wege ermöglicht. Sie soll drei Elemente miteinander verbinden.
1. eine Kompetenzfeststellung
2. Praktika in Werkstätten und Betrieben
3. eine individuelle Begleitung
Dazu nutzt das Projekt BONN u. a. die Potenzialanalyse und die Werkstatttage aus dem Berufsorientierungsprogramm des BMBF. Die individuelle Begleitung wird überwiegend über das Coaching sichergestellt und über das schleswig-holsteinische Handlungskonzept Schule und Arbeitswelt finanziert.
Den ersten Waggon bildet die dreitägige Potenzialanalyse in der 7. Klasse, durchgeführt vom und beim BAW. Die Jugendlichen absolvieren aktiv eine Reihe von Übungen und werden dabei gezielt in Hinblick auf ihre Kompetenzen beobachtet. Sozialpädagogische Fachkräfte, darunter auch (mögliche) Coaches und Berufseinstiegsbegleiter/innen arbeiten hier mit Werkpädagoginnen und Werkpädagogen zusammen. Alle haben eine Schulung absolviert und sind fit in der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung anerkannter Verfahren.
Lehrkräfte nehmen nach Möglichkeit teil, übernehmen aber andere Rollen als die Beobachter/innen. Sie haben die Möglichkeit, Schüler/innen, die nicht als leistungsstark gelten, in einem anderen Kontext doch als erfolgreich zu erleben. Eine Schülerin, die in der Schule mit dem Dreisatz zu kämpfen hat, schafft es z. B. ohne Nachfrage, beim Kochen entsprechende Mengen umzurechnen.
Die Jugendlichen reflektieren nach jeder Übung ihr Verhalten und erhalten eine Rückmeldung. Ein ausführliches Feedback gibt es am Ende, dabei werden erkannte Kompetenzen und Neigungen ebenso besprochen wie notwendige Unterstützungsmaßnahmen. Neben den Jugendlichen sind Beobachter/innen, nach Möglichkeit werkpädagogische Fachkräfte, die später für die Werkstatttage in Frage kommen und Lehrkräfte, ggf. auch ein Bildungscoach einbezogen.
"Ich werde gebraucht, ich bin ein wichtiger Teil des Ganzen."
Im zweiten Waggon, der individuellen Förderung, knüpft die Schule an die Ergebnisse der Potenzialanalyse an, sie macht den individuellen Förder- und Qualifizierungsbedarf zum Ausgangspunkt ihrer pädagogischen Arbeit in der Schule. Das kann nur funktionieren, weil die Lehrkräfte von Anfang an einbezogen sind, wissen, worum es geht, und weil die Ergebnisse - bei Wahrung des Datenschutzes - für alle Prozessbeteiligten transparent sind. Die Leistungsprofile bekommen die Schüler/innen, sie werden in Kompetenzmappen dokumentiert. Lehrkräfte nutzen die Ergebnisse für das Berufsorientierungskolloquium.
Das Team der Flex-Klasse entwickelt Ideen, wie die Ergebnisse in der Schule aufgegriffen werden können. Geht es etwa darum, soziale Kompetenzen zu trainieren, bietet der Bildungscoach eine Gruppenarbeit mit Rollenspielen an. In einem anderen Fall muss die Sprachkompetenz gestärkt werden, hier bindet die Lehrkraft eine gezielte Sprachförderung in den Unterricht ein.
Das Coaching bzw. die Berufseinstiegsbegleitung bildet die Klammer, die die Potenzialanalyse mit den folgenden Praxisphasen verbindet. Da in den Flex-Klassen viel Wert auf Praxiserfahrungen gelegt wird, bieten sie ergänzend vier Tage Berufsfelderprobung und Projekttage in der Schule an. Die Auswahl der Berufsfelder kann an die Ergebnisse der Potenzialanalyse anschließen. Sollte sich das als sinnvoll erweisen, kann Teilnehmerin der Werkstatttageim Einzelfall auch mit dem BAW eine zusätzliche Werkstattphase vereinbart werden.
Der dritte Waggon heißt Werkstatttage (im Rahmen des BOP). Im 8. Schuljahr erproben sich die Jugendlichen 10 Tage lang in jeweils drei Berufsfeldern nach ihrer Wahl. Interessenten für die Bauberufe gehen in die Kreishandwerkerschaft, die anderen Berufe deckt das BAW ab, die Lehrkräfte begleiten die Schülerinnen und Schüler. Die Werkstattprogramme im Projekt BONN basieren auf betriebsnahen Konzepten, auf Markt- und Tauschwerten, die den Jugendlichen vermitteln: "Ja, das wird gebraucht" und somit auch "Ich werde gebraucht, ich bin ein wichtiger Teil des Ganzen." Im Rahmen der Werkstatttage bauten die Schülerinnen und Schüler im BAW in zwei Wochen in einem rollierenden System bspw. Schuhfächer, die ihre Schule brauchte. Eine andere Gruppe produzierte eine kleine Küche, eine weitere einen Strandsegler.
Die Einfahrt in den Zielbahnhof
Die individuellen Ergebnisse der Werkstatttage - Interessen, Neigungen, Kompetenzen - werden mit den Schülerinnen und Schülern besprochen und kommen durch die Kooperation der verschiedenen Fachkräfte in der Schule an. Sie dienen der individuellen Karriereplanung, das heißt einer Leitidee, der alle weiteren Bausteine zur Berufsorientierung folgen sollen.
Nehmen wir an, in den Werkstatttagen wurde Interesse am Berufsfeld Farbe deutlich. Der Coach nimmt Kontakt auf zum BAW, hier findet - zunächst im Schonraum - ein Vertiefungspraktikum statt. Es gibt Antwort auf die Frage: Ist es das, was Du willst? Lautet die Antwort ja, folgt eine Vertiefung - "draußen" in einem echten Betrieb. Hat sich dort die Antwort als stabil erwiesen, kann noch eine weiteres folgen, ein "Klebepraktikum", das Aussicht auf Übernahme in eine Ausbildung bietet. Tauchen grundsätzliche Probleme auf, müssen alle Beteiligten umdenken, eine neue Idee für die Karriere entwickeln und verfolgen. Die individuelle Förderung geht weiter, der/die Jugendliche erhält eine Begleitung über den gesamten Zeitraum der Berufsorientierung.
Erledigt ist der gemeinsame Auftrag erst, wenn alle am Ziel sind: wenn die Jugendlichen ihren eigenen Weg gefunden haben und Anschluss bekommen - möglichst in Form einer Ausbildung.