10.02.2020

Berufsausbildung junger Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus

Das Modellprojekt "Ausbildung statt Stillstand" der JBH Düsseldorf

von Claudia Herzig, Ruth Enggruber und Karin Maria Rüsing

Junge Geflüchtete, die noch schulpflichtig sind und keine ausreichenden Sprachkenntnisse für die Teilnahme am Unterricht in einer Regelklasse haben, besuchen in Nordrhein-Westfalen die Internationalen Förderklassen an Berufskollegs. In einer einjährigen Ausbildungsvorbereitung können sie hier einen Abschluss erwerben, der mit dem Hauptschulabschluss vergleichbar ist. Wenn aber am Ende dieser Ausbildungsvorbereitung eine Entscheidung über ihren rechtmäßigen Aufenthalt noch nicht gefallen ist, gibt es oft keine Anschlussperspektive für sie. Vor diesem Hintergrund entstand in der Jugendberufshilfe Düsseldorf (JBH) bereits im Jahr 2012 die Idee, die erkennbaren Potentiale der jungen Leute zu fördern und ihnen eine Möglichkeit zu bieten, einen anerkannten Berufsabschluss zu erwerben.

Besonderheiten des Projekts

Geflüchtete mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus hatten nicht ohne weiteres Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, viele Fördermöglichkeiten blieben ihnen verschlossen. Bei der Aufnahme einer dualen betrieblichen Ausbildung benötigen sie die Genehmigung durch die Ausländerbehörde. Darüber hinaus ist es aufgrund der Sprachbarrieren, fehlender schulischer Kompetenzen und der zumeist multiplen Problemlagen, die sich aus der Fluchterfahrung ergeben, für sie sehr schwierig, eine Ausbildung ohne zusätzliche Unterstützungsleistung zu absolvieren. Genau bei diesen Schwierigkeiten setzt das Modellprojekt an. Mit dem Ziel, sowohl die Regelinhalte der Ausbildungen zu vermitteln, als auch die soziale Integration der jungen Menschen zu fördern, wurden in drei unterschiedlichen Fachrichtungen zweijährige vollzeitschulische Ausbildungen in Zusammenarbeit mit drei Berufskollegs angeboten. Die Genehmigung durch die Ausländerbehörde entfiel.

Diese Konstruktion erleichterte nicht nur den Umgang mit Behörden, sie ermöglichte der JBH Düsseldorf auch, das Ziel der beruflichen und sozialen Integration zu gleichen Teilen zu verfolgen. Ohne eine umfassende Betreuung wären die jungen Menschen nach der Erfahrung von Krieg, Gewalt, Flucht und Verlust der Familie oft gar nicht in der Lage, eine Ausbildung zu beginnen und dadurch ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Im Projekt "Ausbildung statt Stillstand" sollte ihnen ein Ort geschaffen werden, an dem sie sich neu orientieren können. Die Entwicklung einer Lebensperspektive jenseits der Angst vor drohender Abschiebung war ein zentrales Anliegen.

"Das Projekt richtet sich gezielt an diejenigen, die sich geduldet, gestattet oder mit einer zeitlich beschränkten Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen hier aufhalten." Peter Waldbröl, ehem. Geschäftsführer der JBH Düsseldorf

 

Entwicklung des Projekts und Finanzierung

Die Jugendberufshilfe Düsseldorf gGmbH betreut seit 1980 junge Menschen bis 25 Jahre, die auf dem Weg von der Schule ins Berufsleben Unterstützung benötigen. Sie ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Landeshauptstadt und hat in Düsseldorf an mehreren Standorten Jugendwerkstätten und Ausbildungszentren. In zwei Düsseldorfer Berufskollegs sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JBH als Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen tätig. Ihre Angebote und Maßnahmen führt die JBH im Auftrag des Jobcenters, des Landes NRW und des Jugendamtes der Stadt Düsseldorf durch. Diese Partner waren einbezogen, als das Modellprojekt "Ausbildung statt Stillstand" für (unbegleitete) junge Geflüchtete im Jahr 2013 startete. Das Ziel war ein frühestmöglicher Einstieg in Ausbildung und Arbeit, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Klick zum VergrößernFachkraft für Metalltechnik ist eine der möglichen Ausbildungen. Bild: JBH Düsseldorf

Bei der Realisierung des Modellvorhabens einer modularisierten Ausbildung war die Netzwerkarbeit vor Ort und auf Landesebene ein entscheidender Faktor. Es war erforderlich, die grundsätzliche Bereitschaft der beteiligten Entscheidungsträgerinnen und -träger in den jeweils zuständigen Landesministerien, in den berufsbildenden Schulen, Kammern, Ämtern und sonstigen Behörden zu gewinnen. Vor allem das Engagement des damaligen Geschäftsführers der Jugendberufshilfe Düsseldorf, Peter Walbröl, trug dazu bei, für das Projekt Türen zu öffnen.

Die Finanzierung übernahmen hauptsächlich drei nordrhein-westfälische Ministerien: das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS), das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) sowie das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (MSB NRW). Außerdem gab es Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF), von der Landeshauptstadt Düsseldorf und von beteiligten Stiftungen.

Die Schirmherrschaft für "Ausbildung statt Stillstand" übernahm der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel. Besonders zum Beginn des Projekts wurde die Zusammenarbeit durch regelmäßige Netzwerktreffen unterstützt, bei denen die Umsetzung in die Praxis institutionenübergreifend geklärt und aufeinander abgestimmt wurde.

Angebotene Berufsfelder

Klick zum VergrößernAusbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe: Spülen gehört dazu. Bild: JBH Düsseldorf

Im Modellvorhaben "Ausbildung statt Stillstand" wurden zunächst die Ausbildungen Fachkraft im Gastgewerbe und Fachkraft für Metalltechnik angeboten (2013 – 2015). Schon im zweiten Durchlauf (2015 – 2017) kam die Ausbildung zur Sozialassistenz hinzu. Auch im dritten und vorerst letzten Projektdurchlauf (2017 – 2019) wurden Berufsausbildungen in diesen drei Bereichen angeboten.

Die fachtheoretische Förderung übernahmen für den Ausbildungsberuf Fachkraft im Gastgewerbe das Albrecht-Dürer-Berufskolleg und für Fachkraft für Metalltechnik das Franz-Jürgens-Berufskolleg. Die fachpraktische Ausbildung fand im Restaurant der Jugendberufshilfe Düsseldorf statt und in ihrer Metallwerkstatt. Die Sprachförderung und die sozialpädagogische Betreuung erfolgten ebenfalls durch die Jugendberufshilfe Düsseldorf. Die Berufsausbildung zum staatlich geprüften Sozialassistenten/zur staatlich geprüften Sozialassistentin fand komplett im Elly-Heuss-Knapp-Berufskolleg statt.

"In den internationalen Förderklassen war so viel Potential erkennbar. Das wollten wir unbedingt nutzen." Claudia Herzig, Pädagogische Leiterin des SGB VIII-Bereichs der JBH Düsseldorf

 

Im ersten Durchlauf waren die beiden Ausbildungsgänge modular gestaltet. So wäre es möglich gewesen, den jungen Menschen im Falle ihrer Abschiebung oder eines Ausbildungsabbruchs die erreichten Qualifikationen zu zertifizieren. Die Zwischen- und Abschlussprüfungen blieben vom modularen Aufbau der Berufsausbildung unberührt und wurden von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Düsseldorf  abgenommen. Ihre Abschlussprüfungen absolvierten die Jugendlichen als Externenprüfung nach § 45 Abs. 2 BBiG (Berufsbildungsgesetz). Die Prüfungen zur Ausbildung Staatlich geprüfte Sozialassistenz, die ab dem zweiten Durchlauf angeboten wurden, nimmt die Bezirksregierung Düsseldorf ab.

Auswahl der Teilnehmenden, Auswahl eines Berufsfeldes

Die meisten Teilnehmenden kamen aus den internationalen Förderklassen der drei kooperierenden Düsseldorfer Berufskollegs, andere fanden auf Empfehlung von Kontaktpersonen oder durch Erfahrungsberichte von Auszubildenden in das Modellprojekt. Sie waren zwischen 17 und 24 Jahren alt. Das Lehrerkollegium und die Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter der JBH hatten viele schon als Schülerinnen und Schüler in den internationalen Förderklassen kennengelernt und konnten so die jungen Leute gezielt über das Projekt informieren und sie dafür werben. Wer Interesse an einer der Ausbildungen hatte, sollte den Abschluss der neunten Klasse erreicht sowie ein ausreichendes Ausgangsniveau im Verständnis und in der Verwendung der deutschen Sprache haben. Eignung für und Interesse an den Berufen wurden in einem Vorstellungsgespräch bei der Jugendberufshilfe und in den Bereichen Metalltechnik und Gastronomie in einem anschließenden Orientierungspraktikum in der Werkstatt sowie im gastronomischen Bereich der Jugendberufshilfe festgestellt. Für die Ausbildung Fachkraft für Metalltechnik wurden außerdem insbesondere die mathematischen Fähigkeiten, für die Ausbildung Fachkraft im Gastgewerbe die sprachlichen Fähigkeiten überprüft. Für die Ausbildung Staatlich geprüfte Sozialassistenz wurden neben den sprachlichen auch die sozialen Fähigkeiten getestet.

Aufenthaltsrechtliche Aspekte

Die Kooperation von Berufskollegs und der JBH als Trägerin der berufspraktischen Ausbildungsanteils ermöglichte es, die Ausbildungen in der Maßnahme wie vollzeitschulische Ausbildungen zu behandeln, so dass keine Arbeits- oder Beschäftigungsgenehmigungen bei der Ausländerbehörde eingeholt werden mussten. Für die jungen Menschen war die Projektteilnahme oft der einzige Weg, einen anerkannten Berufsabschluss zu erlangen und sich über diese Integrationsleistung eine Bleibeperspektive in Deutschland zu eröffnen.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass sich die Erteilung der Ausbildungsduldung trotz des gesetzgeberischen Ziels in der Praxis oftmals schwierig gestaltet. Hinzukommt, dass der Gesetzgeber bei der Regelung zur Ausbildungsduldung zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, die der Auslegung bedürfen. Unscharf bleibt vor allem der Begriff Bleibeperspektive. Er wurde mit dem Asylpaket I am 24. Oktober 2015 eingeführt. Das Konstrukt der hohen oder geringen Bleibeperspektive ist aber, anders als sich dies in der öffentlichen Debatte darstellt, kein objektiv festzulegender Ausgangspunkt für die sinnvolle Gewährung frühzeitiger Teilhabemöglichkeiten.(1)

Aus asylrechtlicher Sicht können nach dem Abschluss der Ausbildung drei Gruppen unterschieden werden:

Geduldete: Für einige der Absolventinnen und Absolventen mit Duldungsstatus bot sich an, mit dem erzielten Berufs- und damit auch höherem Schulabschluss - einen Antrag auf Erteilung einer (für drei Jahre befristeten) Aufenthaltserlaubnis nach § 25 a AufenthG zu stellen. Der erreichte Abschluss gilt als Beleg für den guten Integrationserfolg und ist Grundlage für den Antrag. Allerdings muss die Antragstellung vor dem 21. Lebensjahr erfolgen, was für einen Teil der Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer nicht mehr möglich war. Stattdessen konnte aber ein Antrag auf Erteilung einer (für zwei Jahre befristeten) Aufenthaltserlaubnis nach § 18 a AufenthG als Anschlussperspektive an die Ausbildungsduldung gestellt werden.

Gestattete: Bei den jungen Leuten, deren Asylverfahren noch nicht abschließend entschieden war, konnte nach Abschluss der Ausbildung eine Beschäftigungsgenehmigung beantragt werden.

Anerkannte: Obwohl alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Ausbildungsbeginn eine als niedrig prognostizierte Bleibeperspektive hatten, wurden in mehreren Fällen die Asylverfahren positiv beschieden.

  • In Dienstkleidung: im Gastgewerbe gelten Kleidervorschriften. Bild: JBH Düsseldorf
  • Cool in Streetwear: Auzubis und Betreuerinnen beim Fotoshooting. Bild: JBH Düsseldorf
  • Die Sportvariante: nach einem Fussballturnier. Bild: JBH Düsseldorf
  • In Dienstkleidung: im Gastgewerbe gelten Kleidervorschriften. Bild: JBH Düsseldorf
  • Cool in Streetwear: Auzubis und Betreuerinnen beim Fotoshooting. Bild: JBH Düsseldorf
  • Die Sportvariante: nach einem Fussballturnier. Bild: JBH Düsseldorf

Anforderungen an Personal und Lernorte

Die Fluchterfahrung, oft das Unbegleitetsein und das jugendliche Alter brachten es mit sich, dass die jungen Menschen ganz spezifische physische, psychische und soziale Bedürfnisse hatten. Die meisten flüchteten aus ihrem Heimatland vor Krieg, bewaffneten Konflikten, Diskriminierung, Armut und Verfolgung. Sie litten deshalb unter Erfahrungen von Gewalt und dem Verlust von familiären Bindungen. Die permanente Angst vor Abschiebung begleitete ihren Alltag und beeinflusste ihr gesamtes Leben. Sprachliche und bürokratische Hürden, für sie undurchschaubare deutsche Hilfesysteme, ausgestellte Ordnungsverfügungen sowie angedrohte und teilweise auch durchgesetzte Leistungskürzungen oder -einstellungen belasteten die Psyche der Jugendlichen zusätzlich.

Ihnen ein neues Gefühl der Sicherheit, einen verlässlichen Ort zu geben, erforderte ein starkes berufs- und sozialpädagogisches Handeln, um ihre Motivation und das Durchhaltevermögen zu stärken und zu erhalten. Verlässliche Orte in diesem Sinn sind nicht nur Räume, in denen persönliche Unterstützung und fachliche Förderung ihren festen Platz haben, sie sind auch ein Beziehungsangebot, an das bei Bedarf auch längerfristig immer wieder angeknüpft und in dem beständig Vertrauen entwickelt werden kann.(2)

"Die Besonderheit des Projekts besteht in der konsequenten Verfolgung der beruflichen wie der sozialen Integration." Ruth Enggruber, Hochschule Düsseldorf

 

Oberstes Ziel der im Projekt tätigen Pädagoginnen und Pädagogen (Sozialpädagoginnen und -pädagogen, Ausbilderinnen und Ausbilder, Lehrerinnen und Lehrer) war es darum, verlässliche und tragfähige Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, also den jungen Menschen mit einer von Interesse, Anerkennung und Empathie geprägten Grundhaltung zu begegnen. Von zentraler Bedeutung war darum die Arbeit der sozialpädagogischen Fachkräfte der Bildungseinrichtung. Sie waren Ansprechpartnerinnen und -partner für alle Beteiligten und haben den jungen Leuten an den unterschiedlichen Lernorten und bei allen Problemen sowie Fragen zu ihrer Lebensführung verlässlich zur Seite gestanden. Dadurch, dass die pädagogischen Fachkräfte in der JBH kontinuierliche Beziehungsarbeit leisteten, nahmen sie innerhalb des Projektkontexts unterschiedliche Rollen ein und ersetzten zum Beispiel so gut es ging die fehlenden Eltern.

Berufliche und soziale Integration als gleichwertige Zielsetzungen

Klick zum VergrößernBild: JBH Düsseldorf

Berufliche Integration

Die jungen Geflüchteten erhalten eine sprachsensible fachpraktische Anleitung in den Werkstätten der Berufsbildungseinrichtung oder im Berufskolleg. Der Berufsschulunterricht wird teilweise als Teamteaching  (der Fachunterricht wird flankiert von einer DaZ-Lehrkraft) durchgeführt. Fachtexte werden von den Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache (DaZ) der JBH Düsseldorf in einfacher Sprache formuliert und der Fachunterricht wird vor- und nachbereitet. Zusätzlicher Deutschförderunterricht erfolgt sowohl begleitend zu den Berufsschulzeiten als auch als Intensivkurs in den Berufsschulferienzeiten. Ferner werden die Auszubildenden gezielt auf ihre Klausuren sowie Zwischen- und Abschlussprüfungen vorbereitet. Auch diese Aufgaben übernehmen die DaZ-Lehrkräfte. Die Jugendlichen werden durch die sozialpädogogischen Fachkräfte und die Ausbilderinnen und Ausbilder in Betriebspraktika vermittelt und nach ihrem erfolgreichen Ausbildungsabschluss darin unterstützt, eine Stelle in einem für sie passenden Betrieb zu finden. Dazu werden gemeinsam Bewerbungsunterlagen erstellt, Bewerbungsgespräche trainiert und nach Bedarf PC-Grundlagenschulungen durchgeführt.

Klick zum VergrößernFußball gehört zu den beliebtesten Freizeitangeboten. Bild: JBH Düsseldorf

Soziale Integration

Durch die intensive Deutschförderung können große Erfolge in der Sprachentwicklung erzielt werden, die nicht nur zur beruflichen, sondern auch maßgeblich zur sozialen Integration beitragen. Aus den verbesserten Verständigungsmöglichkeiten erwächst bei den jungen Menschen auch ein Gefühl von Sicherheit in sozialen Kontakten. Dazu tragen auch die regelmäßigen Begegnungen mit in Deutschland lebenden Jugendlichen in der Berufsschule bei, denn der Berufsschulunterricht findet nicht ausschließlich mit geflüchteten, sondern gemeinsam mit anderen Auszubildenden statt. Die jungen Leute werden bei Schwierigkeiten mit Behörden und Ämtern und damit bei der Sicherung ihres Lebensunterhalts unterstützt. Durch die Aufnahme und den erfolgreichen Abschluss ihrer Berufsausbildung können sie ihren Aufenthaltsstatus verbessern, was einen großen Zugewinn an Sicherheit für ihr Leben in Deutschland bedeutet. Bei psychosozialen Belastungen ermöglicht die Vermittlung an Beratungs- und Hilfsangebote vor Ort Schritte in ein wieder selbstgesteuertes Leben. Zum Beispiel gab es immer wieder Auszubildende, die noch in Flüchtlingsunterkünften wohnten, wo sie keine Rückzugsmöglichkeit hatten und keinen ruhigen Platz zum Lernen finden konnten. Sie wurden bei der Wohnungssuche unterstützt, sodass sie in eine Wohnung ziehen konnten. Außerdem wurden ihnen Zugänge zu Sport-, Musik- und anderen Freizeitangeboten eröffnet und so wurde auch auf diesem Weg ihre soziale Integration gefördert.

Fachkräfte der JBH

Die Fachkräfte der JBH haben sich ein umfangreiches Wissen in den Bereichen SGB II, SGB VIII, Asyl- und Aufenthaltsrecht erarbeitet und Weiterbildungen zur Arbeit mit traumatisierten Menschen absolviert. Zum Teil haben ein abgeschlossenes Studium mit therapeutischer Zusatzausbildung. Als sinnvoll haben sich auch Kenntnisse im Bereich Deutsch als Fremdsprache erwiesen sowie die Offenheit für eine diversitätsreflektierte Pädagogik. Auch die Ausbilderinnen und Ausbilder in den berufspraktischen Einrichtungen der Jugendberufshilfe waren darauf vorbereitet, sprachsensibel und diversitätsbewusst mit den Auszubildenden zusammenzuarbeiten.

Von besonderer Bedeutung war die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Fachkräfte aus den verschiedenen beteiligten Einrichtungen. Das pädagogische Personal der drei Berufskollegs und der JBH Düsseldorf profitierten außerdem von der räumlichen Nähe der Institutionen, wenn es darum ging, den Berufsschulunterricht, die sozialpädagogische Unterstützung, die fachpraktische Ausbildung und Sprachförderung im Sinne der jungen Leute zeitlich und inhaltlich aufeinander abzustimmen. Dieses weitreichende Verständnis von Zusammenarbeit beschreiben alle Beteiligten als ganz entscheidend für das Gelingen des Projekts.

Lehrpersonal der Berufskollegs

In den Berufskollegs wurde darauf geachtet, dass die im Projekt eingesetzten Lehrerinnen und Lehrer die notwendigen pädagogischen und didaktischen Voraussetzungen mitbrachten, um den Lernbedürfnissen junger Geflüchteter entsprechen zu können. Sie sollten zum Beispiel binnendifferenzierten, individualisierten Unterricht gestalten können, denn die jungen Geflüchteten lernten zumeist gemeinsam mit Auszubildenden ohne Fluchthintergrund. Die Klassen waren kleiner als Regelklassen(3), was den jungen Geflüchteten dabei half, den fachtheoretischen Unterricht in einer für sie zunächst fremden Unterrichtskultur und Sprache besser zu bewältigen. Der Unterricht wurde von einem festen und den jungen Leuten vertrauten Team von Lehrerinnen und Lehrern erteilt.

Für die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer war es erforderlich, nicht an bewährten Unterrichtskonzepten mit Frontalunterricht und PowerPoint-Präsentationen festzuhalten, sondern sich für eine handlungsorientiertere Gestaltung zu öffnen, die besser den Lernvoraussetzungen der geflüchteten Schülerinnen und Schüler entsprach. Es zeigte sich, dass der Unterricht nicht nur sehr viel handlungsorientierter, sondern auch mit Hilfe von Bilderklärungen gestaltet werden musste. Als hilfreich erwies sich auch, dass Lehrerinnen und Lehrer mögliche Traumatisierungen ihrer Schülerinnen und Schüler erkennen und angemessen darauf reagieren konnten.

"Die Ergebnisse des mit Studierenden durchgeführten Praxisforschungsprojekts zeigen, dass die ausgeprägte Kooperationsbereitschaft und das große Engagement aller Beteiligten vor Ort die wesentlichste Bedingung zum Gelingen ist." Ruth Enggruber, Leiterin des Praxisforschungsprojekts der Hochschule Düsseldorf

 

Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen

Als wichtigstes Erfolgskriterium sehen die Beteiligten in Düsseldorf die vertrauensvolle Kooperation zwischen allen beteiligten Institutionen. Auf dieser Grundlage nutzen die Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Einrichtungen ihre Ermessensspielräume im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben maximal aus, was die entscheidende Bedingung dafür war, dass das Projekt zustande kommen und erfolgreich umgesetzt werden konnte. Offenheit und Kooperationsbereitschaft ermöglichten es den Beteiligten, sich gemeinsam dafür einzusetzen, dass jungen Geflüchteten mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus Ausbildungsmöglichkeiten eröffnet wurden. Dazu gab es nicht nur die regelmäßigen Netzwerktreffen, sondern auch Vier-Augen-Gespräche mit einzelnen Vertreterinnen und Vertretern aus den Institutionen. So konnten auftretende Probleme schnell auf dem kleinen Dienstweg gelöst werden.

"46 junge Menschen haben im Modellprojekt erfolgreich ihre Ausbildung absolviert." Claudia Hagel, ehem. Geschäftsführerin der JBH Düsseldorf

 

Erfolg in Zahlen

Abschluss des Modellprojekts

Klick zum VergrößernDer Lohn der Mühe: eine Azubigruppe bei der Abschlussfeier. Bild: JBH Düsseldorf

Das Modellprojekt als solches ist nach drei Durchgängen im Sommer 2019 abgeschlossen worden. Der Erfolg und der an vielen Stellen weiterhin bestehende bildungs- und integrationspolitische Wille, eine verlässliche und ganzheitliche, auf die individuellen Bedürfnisse geflüchteter junger Menschen ausgerichtete Ausbildung anbieten zu können, hat jedoch dazu geführt, dass mit anderen finanziellen Mitteln und in kleinerem Umfang weiterhin Geflüchtete in der Jugendberufshilfe Düsseldorf gGmbH zu Fachkräften im Gastgewerbe ausgebildet werden. Die Vertragsgrundlage entspricht inzwischen der regulären betrieblichen Ausbildung.

Zu Beginn des Modellprojekts war aufgrund der damaligen aufenthaltsrechtlichen Rahmenbedingungen die Modularisierung der Ausbildung ein wichtiger Aspekt des Konzepts, um den Teilnehmenden im Fall einer Abschiebung zumindest eine Teilqualifizierung zu ermöglichen. Mit Einführung der Ausbildungsduldung und der 3+2-Regelung aus dem Jahr 2016 ist die Teilnahme für die gesamte Angebotsdauer nun gesicherter und fördert damit die Chance, über eine gute Arbeitsmarktintegration langfristig eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten.

Begleitende Forschung

Die drei beteiligten Ministerien des Landes NRW bewilligten die Finanzierung des 2017 gestarteten Durchlaufs unter der Auflage, dass die Gelingensbedingungen wissenschaftlich untersucht werden würden. Die Evaluation hatte das Ziel zu überprüfen, ob der Projektansatz ganz oder oder in Teilen auf andere Kommunen in NRW übertragbar sein könnte. Der Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf konnte dafür gewonnen werden, im Wintersemester 2018/19 ein Praxisforschungsprojekt durchzuführen. In einem Praxisforschungsprojekt haben Studierende unter Leitung von Ruth Enggruber und Michael Fehlau mit 16 der am Modellprojekt Beteiligten in Expertinnen- und Experteninterviews geführt und diese ausgewertet. Untersucht wurden die Punkte berufliche und soziale Integration der jungen Geflüchteten sowie die organisatorischen und institutionellen Bedingungen, die zum Gelingen beigetragen haben. Es zeigte sich, dass der Grad der beruflichen Integration in der Berufsschule und in der praktischen Ausbildung gut anhand von Noten in Klassenarbeiten, Klausuren, Zeugnissen oder praktischen Arbeiten sowie dem gelingenden Wechsel von der Ausbildung in den Beruf festgestellt werden konnte. Für das Ziel der sozialen Integration stehen jedoch keine eindeutigen Indikatoren zur Verfügung, weshalb interviewte Mitwirkende aus dem Projekt dies als eine Frage der (persönlichen) Einschätzung beschrieben. Die Studierenden im Praxisforschungsprojekt empfehlen daher eine selbstkritische Beurteilung des Erfolgs beim Bemühen um soziale Integration.

Fazit und Ausblick

Neben dem menschenrechtlichen Aspekt, jungen Geflüchteten mit unklarer Bleibeperspektive Teilhabe an Bildung und Ausbildung zu ermöglichen, kann ihre berufliche und soziale Integration auch zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses in Deutschland beitragen. Dazu wäre es wünschenswert, wenn das Modellprojekt insgesamt oder einzelne Teile daraus in anderen Kommunen in NRW oder sogar bundesweit realisiert werden könnte. Denn schon 2015 formulierte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): "Betriebliche Ausbildung von Geduldeten. Für den Arbeitsmarkt ein Gewinn, für die jungen Fluchtmigranten eine Chance".(4)

Neue Förderrichtlinie des Landes NRW

Im Dezember 2019 gab die Landesregierung NRW bekannt, dass sie mit einer neuen Initiative die Integration junger Geflüchteter unterstützen will. Von der Förderrichtlinie des Programms "Durchstarten in Ausbildung und Arbeit!" sollen besonders Geflüchtete mit Duldung und Gestattung profitieren, die sonst keinen oder nur nachrangigen Zugang zu Leistungen der Arbeitsförderung und zu Integrationskursen haben. Das Land NRW stellt dafür insgesamt 50 Millionen Euro bereit.

Weitere Informationen

  • 1Voigt, Claudius: Bleibeperspektive - Kritik einer begrifflichen Seifenblase. GGUA Flüchtlingshilfe / Projekt Q Münster; URL: https://www.ggua.de (Stand 17.01.2020)
  • 2Vgl.: Bethscheider, Monika: Verlässliche Orte - Anlaufstelle für junge Flüchtlinge: der Verein "Ausbildung statt Abschiebung". Praxisbericht für die BIBB-Fachstelle überaus. URL:https://www.ueberaus.de/asa (Stand 17.01.2020)
  • 3Das Land NRW finanzierte an jeder Schule eine halbe Stelle (Anrechnugsstunden), so dass eine Klassengröße von zum Beispiel 16 Schülerinnen und Schülern möglich war. Mit den zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln konnte auch eine Erstausstattung, wie beispielsweise Lexika, in den beteiligten Berufskollegs angeschafft werden.
  • 4Schreyer, Franziska; Bauer, Angela; Kohn, Karl-Heinz P. (2015): Betriebliche Ausbildung von Geduldeten: Für den Arbeitsmarkt ein Gewinn, für die jungen Fluchtmigranten eine Chance, IAB-Kurzbericht Nr. 1/2015, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg