01.10.2012

Auftragsausbildung: vom Bildungsträger zum Bildungsdienstleister

Praxisbericht aus dem Wuppermann Bildungswerk Leverkusen

von Petra Lippegaus-Grünau

Die Zeiten ändern sich - und mit ihnen die Aufgaben. Als Antwort auf Fachkräftemangel und Ausbildungsprobleme entstehen neue Ausbildungsmodelle. So bietet die Wuppermann Bildungswerk GmbH den Unternehmen in der Region Leverkusen Dienstleistungen rund um die Ausbildung an. In deren  Auftrag übernimmt sie Teile der Ausbildung bis hin zur kompletten Berufsausbildung. Die Auftragsausbildung bietet die Möglichkeit, die Ausbildung individuell und flexibel zu gestalten - und so auch Jugendliche mit ungünstigen Voraussetzungen erfolgreich auszubilden.

Der demografische Wandel kommt in den Betrieben an - auch in der Rhein-Wupper-Region. Wie Joachim Pfingst, Geschäftsführer des Wuppermann-Bildungswerks, berichtet, klagen viele Betriebe darüber, dass sie keine geeigneten Auszubildenden mehr finden - manche erhalten kaum noch Bewerbungen. Die großen Betriebe mit den guten Namen greifen die Bewerber/innen mit den guten Voraussetzungen ab, für die Klein- und Mittelbetriebe bleiben Auszubildende, denen viele Unternehmen zunächst mit Vorbehalt begegnen. Auf individuelle Bedürfnisse und Unterstützungsbedarf sind sie nicht eingestellt, denn im Betriebsalltag haben Geschäftsprozesse Vorrang vor pädagogischen Aufgaben. Ein erheblicher Teil der Betriebe - bei Unternehmen unter 50 Mitarbeitern bundesweit über 60 Prozent -  bildet gar nicht erst aus; bei vielen ist das Problem "Fachkräftemangel" noch gar nicht angekommen. "Die Schmerzgrenze ist bei vielen noch nicht erreicht", so Pfingst.

Wandel bewältigen

Diese Situation hat das Wuppermann Bildungswerk als Herausforderung begriffen. Wandel zu bewältigen, gehört hier zur "Firmengeschichte". Als die Theodor Wuppermann GmbH nach über 100jähriger Firmen- und Ausbildungsgeschichte die Stahlkrise nicht überstand, setzten sich lokale Akteure gemeinsam dafür ein, den Ausbildungsbereich des Unternehmens zu erhalten und gründeten das Wuppermann Bildungswerk, das heute von der Stadt Leverkusen, den Unternehmerverbänden Rhein-Wupper und von der Wuppermann AG getragen wird. Das Bildungswerk verstand sich stets als Partner der Unternehmen in der Region, Kerngeschäft in den letzten 25 Jahren aber war die Förderung junger Menschen, die am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nicht unterkommen konnten.

Bild: Wuppermann Bildungswerk GmbH

Sich der aktuellen Situation zu stellen, erfordert, sich ein klares Bild zu machen. Als erstes gab das Bildungswerk deshalb eine Studie zum Fachkräftenachwuchs in der Region in Auftrag. Sie zeigt auch den Unternehmen, dass die Region Leverkusen schon jetzt vom Fachkräftemangel betroffen ist. Viel zu viele Betriebe bilden nicht aus. Sie begründen diesen Verzicht damit, dass ihnen die entsprechenden Ressourcen fehlen, z. B. Ausbildungspersonal oder entsprechende Betreuungsmöglichkeiten. Die Studie fordert deshalb: Ausbildung muss intensiviert werden. Und eine Möglichkeit bietet die Ausbildung im Verbund.

Damit hat das Wuppermann Bildungswerk sehr gute Erfahrungen gemacht. Seit vielen Jahren  führt die Gesellschaft "fachspezifische Ausbildungsmodule" im Auftrag von Betrieben durch, die diese Teile der Ausbildung nicht allein gewährleisen können, z. B. CNC, Hydraulik oder Pneumatik. Friedel Martiny, ehemals Vorsitzender der Gesellschafterversammlung, bezeichnet das Qualifizierungszentrum deshalb als "verlängerte Werkbank der Unternehmen".

Entlastung für Betriebe

Diese Form der Auftragsausbildung nimmt zu. Neue Maschinen, die bis zu 120.000 € kosten können, sind in vielen Betrieben nicht vorhanden oder veraltet. In einigen Unternehmen können die teuren neuen Maschinen zu Ausbildungszwecken nicht  verwendet werden, weil das die Betriebsabläufe stört. Andere Firmen schließen ihre Ausbildungswerkstatt, weil sie sich von der Infrastruktur befreien wollen. Sie brauchen Personal, Räume oder Ausstattung für die Produktion. Hier übernimmt das Wuppermann Bildungswerk die ganze Ausbildung im Auftrag des Betriebs.

Die Auftragsausbildung gilt in Leverkusen als ein Erfolgsmodell, das Kunden zufriedenstellt und gleichzeitig die Ausbildung von Jugendlichen mit unterschiedlichen Bedürfnissen absichert.

 

Interessant ist Verbund- oder Auftragsausbildung vor allem für Klein- und Mittelbetriebe. Die Auszubildenden erhalten so dieselbe Ausbildungsqualität wie in Großbetrieben. Über 150 Auftrags- und Verbundverträge hat das Bildungswerk bereits abgeschlossen. Bei guten Auszubildenden läuft diese Form der Ausbildung problemlos, viele wechseln nach zwei Jahren in die Betriebe und werden danach im Bildungswerk wieder auf die Prüfung vorbereitet. Die Prüfungsergebnisse sprechen für das Modell: Sie liegen über dem Kammerdurchschnitt.

Neue Chancen für Jugendliche

Die Auftragsausbildung gilt in Leverkusen als ein Erfolgsmodell, das Kunden zufriedenstellt und gleichzeitig die Ausbildung von Jugendlichen mit unterschiedlichen Bedürfnissen absichert. Die Unternehmen weist das Bildungswerk in seiner Broschüre darauf hin, dass zwingend auch Jugendliche berücksichtigt werden müssen, "die bisher nicht im Fokus der Unternehmen standen": schwächere Schulabgänger/innen, benachteiligte Jugendliche, Migrantinnen und Migranten, Altbewerber/innen und Mädchen in sogenannten Männerberufen. Um sie angemessen zu fördern, kann die Ausbildung um personenbezogene Angebote erweitert und flexibilisiert werden: sozialpädagogische Begleitung, Stütz- und Fördermaßnahmen oder etwa  eine Teilzeitausbildung für junge Eltern. Hier wird an die jahrelangen pädagogischen und fachlichen Erfahrungen aus der sozialpädagogisch orientierten Berufsausbildung angeknüpft.

Und worin bestehen die Unterschiede?

  • Die Auftragsausbildung liegt in der Verantwortung der Betriebe. Sie erweitert das duale System um einen dritten Partner. Dieser Partner bietet seine Dienstleistungen beiden Seiten an, Betrieben und den Jugendlichen.
  • Die Auftragsausbildung liegt im Interesse der einzelnen Kunden, die auf das Wuppermann Bildungswerk zugehen, um ihre Ressourcen zu sichern. Es handelt sich um ein Dienstleistungsverhältnis, das auf einer oft jahrelang gewachsenen Kundenbeziehung beruht.
  • Anders als die ausbildungsbegleitenden Hilfen setzten die Angebote viel früher an, z. B. mit einem externen Ausbildungsmanagement oder mit der Klärung der Ausgangsbedingungen für die Jugendlichen.
  • Die Auftragsausbildung bildet keinen Sonderweg für "Benachteiligte".  Alle Azubis gehören als vollwertige Mitglieder zum Betrieb, mit dem sie den Ausbildungsvertrag abschließen. Im Bildungswerk treffen sie auf das ganze Spektrum von Auszubildenden.
  • Schließlich ändert sich auch die Wahrnehmung des Bildungswerks: Mit der neuen Rolle und der Aufgabe einer breiten Fachkräftesicherung steigt das Ansehen des Bildungsdienstleisters.

Dann ist ja alles bestens, oder? - Nicht ganz. Zwar öffnet dieses Ausbildungsangebot die Türen für junge Menschen mit ungünstigen Startchancen. Die Bereitschaft der Betriebe gerät aber an Grenzen, wenn die Betriebe die Kosten für gesellschaftliche Aufgaben übernehmen sollen. Diese  wurden ja in der Vergangenheit durch arbeitsmarktpolitische Instrumente abgedeckt.

Joachim Pfingst setzt sich deshalb engagiert für eine Finanzierung der neuen Ausbildungsidee ein. Geld müsste genug vorhanden sein: Mittel, aus denen bislang ausbildungsbegleitende Hilfen und außerbetriebliche oder vollzeitschulische Ausbildung finanziert werden, könnten ebenso gut in dieses Modell übertragen werden.
 
Mit seiner Überzeugung ist der Geschäftsführer nicht allein. Kooperative oder assistierte Ausbildungen gelten in  vielen Reformvorschlägen als das Modell der Zukunft, lassen sich so doch ökonomische, pädagogische und gesellschaftliche Aufgaben zusammenführen.

Weitere Informationen

  • www.wuppermann-bildungswerk.de
    Das Wuppermann Bildungswerk versteht sich als Partner der regionalen Wirtschaft sowie öffentlicher und privater Institutionen in allen Fragen der beruflichen Bildung.