17.08.2018 | PM Uni Siegen | Redaktion
Wie soziale Bindungen entstehen
Johannes Paßmann untersuchte die soziale Funktion von Favs und Likes
Favs, Likes, Retweets oder ähnliches gibt es in nahezu allen sozialen Netzwerken. Doch welche soziale Funktion haben die "Daumen hoch"- und Herzchen-Symbole eigentlich genau? Mit dieser Frage beschäftigte sich Johannes Paßmann von der Universität Siegen. Seit 2011 beobachtete und analysierte er das Verhalten von Twitter-Nutzern und zeigt, dass es im virtuellen Leben ganz ähnlich zugeht wie im "wirklichen": Das Herzchen unter einem Tweet ist eine freiwillige Gabe, durch die der Beschenkte sich verpflichtet fühlt, sich zu revanchieren. Eine soziale Bindung entsteht.
Der wichtigste Unterschied zum Leben jenseits der Computermonitore: Während Menschen in ihrem "normalen" Umfeld nicht jedes Geschenk eines Fremden annehmen würden, haben Twitter und andere soziale Netzwerke diese kleinen Präsente zur Normalform gemacht. Geplant war das nicht: "Vielmehr haben die Plattformen den Nutzerinnen und Nutzern einfach ermöglicht zu tun, was Menschen schon immer tun: Durch kleine Signale der Anerkennung baut man das Soziale auf", erklärt Paßmann.
Interessant sei, wie die Geschenke funktionieren. "Diese Praktik gibt es so lange wie den Homo Sapiens. Der Erfolg von Twitter liegt einerseits im Bezug auf eine ganz alte Kulturtechnik. Auf der anderen Seite steht die neue Technik, die es ermöglicht, zu quantifizieren. Das ist ziemlich neu. Diese Seiten zusammenzubringen war das Entscheidende." Die Twitterer erhalten Anerkennung – und können diese in nackten Zahlen festhalten. Likes werden gezählt, verglichen und in Statistiken übertragen. Die alte Kulturtechnik des Gebens trifft auf die relativ neue Kulturtechnik der Verdatung.
Paßmann hat sich bei der Suche nach Gründen für den Erfolg auf eine spezielle Gemeinschaft konzentriert: die sogenannten Favstar-Twitterer, deren Ziel es ist, Tweets zu verfassen, die möglichst viele Likes erhalten sollen. "Entscheidend ist dabei, dass fast alle darauf erpicht sind, sich nicht zu sehr davon leiten zu lassen", hat Paßmann festgestellt. Die Suche nach Anerkennung, ohne danach zu gieren. Es klingt paradox, aber: "Erfolg auf Twitter bedeutet, sich von den Erfolgskriterien unabhängig zu machen", so Paßmann, der dafür den Begriff der Souveränität verwendet.
"Likes als Geschenke sind uneindeutig und gerade deshalb so erfolgreich." Johannes Paßmann, Uni Siegen
Für seine Forschungen besuchte der Medienwissenschaftler auch Twitter-Treffen in verschiedenen Städten – und gewann aufschlussreiche Erkenntnisse: "Wie der Alltag eigentlich funktioniert, merken wir normalerweise nicht, weil es Routinen sind. Wenn sich die Leute dann offline treffen, kommen die Strukturen unseres Handelns an die Oberfläche." Einer der vielleicht wichtigsten Punkte: Likes als Geschenke sind vage und deshalb ein Erfolgsmodell. Sobald man sich gegenüberstehe, gehe diese Vagheit verloren, durch Mimik, Gestik und das Gespräch an sich. "Die große Stärke der sozialen Medien besteht nicht darin, dass sie besonders gut Informationen übertragen, sondern dass so wenig gesagt wird, dass Likes uneindeutig sind und sich jeder seine eigene Version davon bilden kann."