06.04.2018 | Mediendienst Integration | Redaktion
Sprache als wichtiges Thema in der Integrationsdebatte
Mehrsprachigkeit als zusätzliche Qualifikation würdigen
In der Integrationsdebatte hört man von Politikern und Bürgern oft die Forderung nach "besseren" Deutschkenntnissen bei Migranten und ihren Nachkommen. Allerdings ist unklar, wie hoch der Sprachförderbedarf tatsächlich ist: Die Daten- und Forschungslage ist uneinheitlich und lückenhaft.
Teilnehmende an Integrationskursen von 2013 - 2017. Grafik: Mediendienst Integration
In der Folge sind die Diskussionen eher von Annahmen geprägt als von Fakten. Hinzu kommt, dass Mehrsprachigkeit nur selten als das gewürdigt wird, was sie ist: eine zusätzliche Qualifikation.
Der Genauigkeit halber muss auch unterschieden werden: Während Kenntnisse in Sprachen wie Englisch, Französisch oder Italienisch in der allgemeinen Wahrnehmung positiv besetzt sind und als Qualifikation betrachtet werden, werden die Sprachkenntnisse von Migranten und ihren Nachkommen etwa in Arabisch, Türkisch oder Rumänisch weit weniger anerkannt und gefördert.
Wie gut sprechen Migranten Deutsch?
Diese Frage kann nicht einfach beantwortet werden. Über die Deutschkenntnisse von erwachsenen Migranten gibt es keine belastbaren Daten, die vorliegenden Untersuchungen beruhen zudem auf Selbsteinschätzungen.
Anhaltspunkte bietet unter anderem die IAB-SOEP-Migrationsstichprobe, für die 5.000 Menschen befragt wurden, die nach 1995 nach Deutschland gekommen oder als Nachkommen von Einwanderern in den Arbeitsmarkt eingetreten sind. Bei dieser Stichprobe gilt es zu berücksichtigen: Drei Viertel der Befragten sind im Ausland geboren.
Demnach gaben zum Zeitpunkt der Umfrage (2013) zwölf Prozent der Teilnehmer an, dass sie bereits gut oder sehr gut Deutsch konnten, als sie nach Deutschland gezogen sind.
Von denjenigen, die bereits mehr als zehn Jahre in Deutschland leben, schätzten 63 Prozent ihre Deutschkenntnisse als gut oder sehr gut ein.
Insgesamt gaben 61 Prozent der Einwanderer an, aktiv Deutsch gelernt zu haben: rund 11 Prozent haben Deutschkurse in ihren Heimatländern besucht und 44 Prozent haben Kurse in Deutschland belegt. Quelle: IAB-SOEP-Migrationsstichprobe.
Welche Sprachen sprechen Kinder mit Migrationshintergrund zu Hause?
46 Wissenschaftler haben in einer Erklärung klargestellt: "Zweisprachigkeit ist – auch schon im frühesten Kindesalter – unproblematisch und kann unter guten Bedingungen sogar positive Effekte auf die gesamte kognitive Entwicklung haben." Dennoch werden in vielen Debatten oft Studien zitiert, die untersucht haben, wie viele Kinder zu Hause nicht Deutsch sprechen.
Die internationale Grundschulvergleichsstudie IGLU, die im Dezember 2017 veröffentlicht wurde, kommt zum Ergebnis: Der Anteil der befragten Viertklässler, die zu Hause immer oder fast immer Deutsch zu sprechen, liegt bei 83,4 Prozent. Im Vergleich: 2011 waren es 80,4 Prozent. Quelle: IGLU-Studie 2016 und IGLU-Studie 2011.
Einer Auswertung der PISA-Studie 2015 für Deutschland zufolge sprechen 61 Prozent der getesteten 15-jährigen Schüler mit Migrationshintergrund zu Hause Deutsch. Bei Schülern aus türkischen Einwandererfamilien traf dies bei 46 Prozent zu. Schülern, deren Eltern aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, sprachen zu 57 Prozent in der Familie Deutsch. Quelle: PISA 2015
Ähnliche Zahlen lieferte 2016 ein Forschungsprojekt zum herkunftssprachlichen Sprachunterricht im Hamburg. In 64 Prozent der befragten Familien wurde (auch) Deutsch gesprochen. Die Ergebnisse des Projekts sind für Hamburg repräsentativ, könnten aber auf die Situation in westdeutschen Großstädten und Berlin übertragen werden. Quelle: Universität Hamburg 2016.
Wie hoch ist ihr Sprachförderbedarf?
Dass Kinder aus Einwandererfamilien, die mehrsprachig aufwachsen, ein erhöhtes Risiko für sprachliche Defizite haben, ist ein Mythos – erklären zum Beispiel Wissenschaftler vom Zentrum "Sprache, Variation und Migration" (SVM) in einem Interview.
Die Ergebnisse der ersten PISA-Studie von 2001 stellten jedoch einen Zusammenhang zwischen Sprachproblemen in der Schule und einer mangelnden Sprachförderung im Vorschulalter her. In den Bundesländern wurden deshalb verstärkt Maßnahmen zur Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen eingeführt.
Sprachstandserhebung vor der Schule
Derzeit werden in 14 Bundesländern 17 verschiedene Testverfahren angewandt, um die Sprachkenntnisse und den Förderbedarf von Kindern im Vorschulalter festzustellen. Auch der Migrationshintergrund wird sehr unterschiedlich definiert. Demnach können über den Sprachstand und Förderbedarf keine bundesweiten Aussagen getroffen werden, wie beispielsweise das Integrationsmonitoring der Länder feststellt. Seit Langem wird deshalb gefordert, die sogenannten Sprachstandstests bundesweit zu vereinheitlichen. Quelle: DJI 2012.
Sprachniveau in der Schule
Auch zu den Deutschkenntnissen und dem Förderbedarf von Schülern fehlen bundesweit vergleichbare Daten. Anhaltspunkte können die Ergebnisse einer Elternbefragung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) von 2009 bieten. Den Eltern zufolge hatten rund 39 Prozent der Drei- bis Siebenjährigen, die mit zwei Sprachen aufwachsen, einen Sprachförderbedarf. Bei den Kindern derselben Altersgruppe ohne Migrationshintergrund war er mit 21 Prozent ebenfalls hoch.
Wie wichtig ist frühkindliche Sprachförderung?
Seit Mitte der 90er Jahre befasst sich die Forschung intensiv mit der Bedeutung der frühkindlichen Sprachbildung. Dominant ist dabei die Auffassung, dass die Förderung sprachlicher Kompetenzen vor der Schule grundlegend für den Bildungserfolg sei. Auch politisch ist die vorherrschende Meinung, Kinder müssten bereits vor dem Schuleintritt gefördert werden, wenn in der Familie kaum Deutsch gesprochen wird.
Umgesetzt wird das bisher sehr unterschiedlich: Die Aus- und Fortbildung pädagogischer Fachkräfte, die Tests zur Feststellung der Sprachkompetenz und des Förderbedarfs sowie die Angebote zur Verbesserung der Deutschkenntnisse weichen je nach Bundesland stark voneinander ab. Zudem fehlt es in vielen dieser Bereiche an empirischen Daten und Untersuchungen – der Forschungsbedarf ist groß. Quelle: Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2016.
Oft wird übersehen, dass der frühkindliche Ansatz umstritten ist: Wichtiger finden es einige Wissenschaftler, dass das System Schule in den Fokus rückt und verbessert wird. Demnach müssten institutionelle und strukturelle Diskriminierungen abgebaut werden.
Umgang mit Mehrsprachigkeit
Wissenschaftler gehen davon aus, dass weltweit zwischen 50 und 75 Prozent der Menschen zwei- oder mehrsprachig sind. Damit stellt Mehrsprachigkeit keine Ausnahme dar. Zunehmende Mobilität und Migration verstärken diesen Trend. Der Umgang mit Mehrsprachigkeit ist jedoch von Land zu Land sehr unterschiedlich.
Über die Sprachenvielfalt in Deutschland weiß man nur wenig, offizielle Statistiken dazu gibt es nicht. De facto gewinnt sie aber immer mehr an Bedeutung, nicht zuletzt wegen der Sprachen, die Einwanderer seit den 1960er Jahren "mitgebracht" haben.
Darüber hinaus gibt es sieben offiziell anerkannte und geschützte regionale Minderheitensprachen. Auffallend ist jedoch, dass die Herkunftssprachen der Einwanderer gesellschaftlich und politisch in der Regel weitaus weniger anerkannt sind und gefördert werden als die offiziellen Minderheitensprachen oder die "klassischen" Fremdsprachen wie Englisch, Französisch, Spanisch oder Latein.
Auch wenn im wissenschaftlichen Diskurs weitestgehende Einigkeit darüber herrscht, dass es Kinder nicht grundsätzlich überfordert, von Anfang an zwei Sprachen zu lernen: Es wird immer wieder diskutiert, wie konkret mit der Mehrsprachigkeit von Kindern mit sogenanntem Migrationshintergrund umgegangen werden soll.
In der sogenannten Bilingualismus-Debatte stehen sich zwei Lager gegenüber: Das größere bewertet die Zweisprachigkeit von Einwandererkindern positiv. Die Förderung der Muttersprache erweitere ihre kognitiven Fähigkeiten und helfe, besser Deutsch zu lernen. Das andere Lager widerspricht dem und plädiert dafür, dass die Kinder zunächst Deutsch lernen und vor allem die Deutschkenntnisse gefördert werden sollten. Dem entspricht die bisher gängige Praxis an Kindertagesstätten und Schulen.
Wie viele Migranten nehmen an Integrationskursen teil?
Mit der Reform des Zuwanderungsrechts wurden 2005 sogenannte Integrationskurse eingeführt. Neben einem Orientierungskurs beinhalten sie einen Sprachkurs, der "ausreichende" Deutschkenntnisse vermitteln soll.
Das Aufenthaltsgesetz regelt, welche Drittstaatenangehörige zu den Kursen berechtigt (§ 44 AufenthG) oder verpflichtet sind (§ 44a AufenthG). EU-Bürger und deutsche Staatsangehörige haben zwar keinen Anspruch auf die Kurse, können aber eine freiwillige Teilnahme beantragen. Ausländer ohne Deutschkenntnisse sowie anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte, die bestimmte Leistungen beziehen, sind dagegen verpflichtet. Asylbewerber mit einer guten Bleibeperspektive dürfen seit Oktober 2015 ebenfalls an Integrationskursen teilnehmen.
Zahl der Kursteilnehmer
*⇒ Jahreszahlen 2017*
Im Jahr 2017 nahmen rund 290.000 Personen an Integrationskursen teil. Damit ist die Zahl im Vergleich zum Vorjahr erstmals wieder gesunken.
Etwa zwei Drittel der Teilnehmer waren dabei vom Jobcenter oder durch Ausländerbehörden verpflichtet worden.
Rund ein Drittel der neuen Kursteilnehmer kam aus Syrien (34,8 Prozent), gefolgt vom Irak (9,5 Prozent), Afghanistan (6,9 Prozent) und Eritrea (4,2 Prozent).Quelle
*⇒ Jahreszahlen 2016*
2016 gab es rund 340.000 neue Integrationskurs-Teilnehmer. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl damit fast verdoppelt.
Rund 46 Prozent nahmen freiwillig teil, also ohne Verpflichtung durch Ausländerbehörden oder Jobcenter.
Etwa die Hälfte der neuen Kursteilnehmer kam aus Syrien (46,9 Prozent), gefolgt vom Irak (8,2 Prozent), von Eritrea (5,3 Prozent) und dem Iran (3,9 Prozent).
Aus der EU kamen knapp 18 Prozent der Teilnehmenden.
Die Zahl der Teilnahmeberechtigten für das Jahr 2016 lag bei rund 535.000. Nicht alle haben einen Kurs begonnen. Quelle: BAMF 2016.
Laut BAMF-Statistik haben 2016 rund 169.800 Personen den Integrationskurs mit dem "Deutsch-Test für Zuwanderer" abgeschlossen.
58,5 Prozent erreichten dabei das Niveau B1 ("ausreichende Deutschkenntnisse") des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER),
33,5 Prozent das Niveau A2 ("hinreichende Deutschkenntnisse"),
rund acht Prozent lagen darunter.
*⇒ Jahreszahlen 2015*
2015 nahmen rund 180.000 Einwanderer an einem Integrationskurs teil. Davon waren etwa 50 Prozent EU-Bürger und "Altzuwanderer". Aus Syrien kamen rund 19 Prozent.
Kritik
Die "Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft" GEW bemängelt die Gruppengrößen, die im Verhältnis zu den pädagogischen Anforderungen zu groß seien, bei gleichzeitig geringer Bezahlung für die Lehrkräfte. Und "Pro Asyl" kritisiert, dass nicht alle Asylbewerber Zugang zu den Kursen erhalten.