13.12.2012

Von der Drehbuchidee bis zum roten Teppich

Praxisbericht über "Film ab!" - ein Projekt von IN VIA Lübeck

von Petra Lippegaus-Grünau

Arbeitslose Jugendliche durchlaufen im Lübecker Filmkurs "Film ab!" spannende und herausfordernde Etappen. Sie produzieren im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten eigenständig kinotaugliche Filme, die in Lübeck inzwischen Kultstatus haben. Das Drehbuch, die Planung des Drehs, die Arbeit vor und hinter der Kamera am Set, auch die Premierenplanung - alles liegt in der Hand der Jugendlichen. Von der Idee haben sich sogar bekannte Schauspieler anstecken lassen und wirken im Film oder als Coach mit.

"Querschläger", der vierte Film des Projektes, ist ein Abenteuerkrimi mit viel Action und einer guten Prise Humor: Eine Kiste, die bei der Bombardierung Lübecks am Palmsonntag 1942 verschwunden war, taucht unversehens wieder auf. Der Museumshausmeister Sascha wird erst Zeuge eines Mordes und dann selbst als Hauptverdächtiger verhaftet. Seine Freunde wollen ihm helfen und werden dabei in eine turbulente Schatzjagd verwickelt.

"Ich hätte nicht gedacht, dass wir alles selbst machen"

Was - so Patrick Schwedler, einer der beiden Kursleiter - bei der Premiere lustig, blutig und sehr unterhaltsam daher kommt, ist das Produkt intensiver gemeinsamer Arbeit, entstanden bei "Ein-Euro-Jobs" für unter 25-Jährige in einem gemeinsamen Projekt von IN VIA Lübeck und dem Jobcenter Lübeck. Der Kurs hebt sich vor allem durch die Professionalität deutlich von "herkömmlichen Schulfilmprojekten" ab. Wer hier bestehen will, muss schon Interesse und ein bisschen Durchhaltevermögen mitbringen - dafür wird aber auch einiges geboten.

Klick zum Vergrößern"Querschläger" war der letzte Film von "Film ab!", er hatte im Februar 2012 Premiere.

Den Auftakt machen "echte" Profis aus der Filmpraxis. In einer vier bis sechswöchigen Einführung vermitteln sie zunächst die notwendigen theoretischen Grundlagen: Was gehört eigentlich dazu, Beleuchter, Schauspieler, Kameraleute oder Tonmeister zu sein? Dabei zeigt sich, dass in einer Filmszene weit mehr steckt, als der Laie vermutet: Drehbuch, Baubühne, Kostüm, Maske, Requisite, Kamera, Licht, Ton, Schauspiel, Aufnahmeleitung und vieles mehr. All diese Aufgaben übernehmen die Jugendlichen in der Produktionsphase, darüber hinaus muss jemand das Budget verwalten, Gastschauspieler ansprechen und überzeugen, die Premierenfeier und das Marketing organisieren. "Ich hätte nicht gedacht, dass wir alles selbst machen, vielleicht Kabelträger oder so", lautete der verblüffte Kommentar eines Teilnehmers.

Profis befähigen die einzelnen Mitglieder des Filmteams, ihre Aufgabe zu meistern. In einem vier bis sechswöchigen Einstieg bieten sie Schauspielunterricht und ein Produktionscoaching, Bühnenbilder werden gemeinsam mit Künstlern erstellt, in Tanzstunden Mamboschritte trainert, Make-up-Artisten und Tonmeister qualifizieren die Nachwuchskräfte. Mit den Profis arbeiten die Jugendlichen genauso auf Augenhöhe wie mit den prominenten Schauspielerkollegen, die für die Filme gewonnen werden. Bei der Folge "Querschläger" spielten  die Jugendlichen an der Seite von Marc Zwinz (bekannt als Hannes Krabbe aus dem Großstadtrevier), Gerhard Olschewski (Der Landarzt) und Hartmut Lange (Herr Lehmann, Tatort, SOKO Wismar).

Jeder bringt seine Fähigkeiten für das gemeinsame Ziel ein und erlebt sich selbst als wichtig und nicht austauschbar.

 

Das "Pädagogische" passiert nebenbei

Für Alleingänge oder Starallüren ist in der hochprofessionellen Arbeitsatmosphäre kein Platz: Absprachen müssen getroffen und eingehalten werden. Kommt einer nicht pünktlich, müssen alle am Set warten. Als einmal eine Schauspielerin nicht mehr auftauchte, musste das gesamte Drehbuch umgeschrieben werden. Die Jugendlichen müssen ihre Wünsche dem gemeinsamen Ziel unterordnen und lernen, mit ihren eigenen Voraussetzungen und denen der anderen zurechtzukommen.

"Film ab" mit Gerhard Olschewski - Bild: IN VIA Lübeck e.V.

Das "Pädagogische" passiert nebenbei, aus der Situation heraus: Die Teilnehmenden trainieren Teamarbeit und zielgerichtetes Arbeiten, sie erwerben Medienkompetenz, steigern ihr Durchhaltevermögen, ihre Belastbarkeit und ihre Flexibilität. Das einzige festgelegte Ziel ist das Datum der Premiere. "Der Weg dahin muss dann von den Jugendlichen gegangen werden", so beschreibt Patrick Schwedler das pädagogische Konzept. Er managt das Projekt gemeinsam mit dem Filmemacher Kai Kinnert.

Zwar halten nicht alle Jugendlichen durch, manche werden auch während der Projektlaufzeit vermittelt - so sind etwa im letzten Kurs vier Teilnehmende ausgefallen. Aber die anderen steuern extrem motiviert auf die Premiere zu. Die große Herausforderung hat ungeahnte Auswirkungen auf die Gruppe wie auch auf die Entwicklung der Einzelnen: Alle stellen fest, dass zielorientierte Arbeit sich lohnt und dabei enorm Spaß machen kann. Jeder bringt seine Fähigkeiten für das gemeinsame Ziel ein und erlebt sich selbst als wichtig und nicht austauschbar. Jugendliche, die bei der Vorstellung noch sehr schüchtern auftraten, stehen bei der Premiere vor 250 Leuten und präsentieren den Film.

Am Ende steht ein großer Erfolg: ein ausverkauftes Kino, ein roter Teppich, eine begeisterte Presse, aber vor allem stolze, selbstbewusste und sehr glückliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

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