26.11.2013
Junge Bulgaren als Auszubildende in Niederbayern
Praxisbericht zum Projekt "Azubis aus Bulgarien" im Landkreis Deggendorf
von Elsa Schumacher
In vielen Ländern Europas ist die Jugendarbeitslosigkeit groß – in Deutschland droht der Nachwuchsmangel. Neue Programme wie MobiPro-EU sollen beide Probleme lösen helfen. Wie aber gewinnt man Auszubildende? Wer sind die jungen Menschen und wie kommen sie zurecht? Welche Art von Unterstützung bekommen sie im Betrieb und im Alltag, um eine Ausbildung durchzuhalten und erfolgreich abzuschließen?
Wie eine betroffene Region Jugendliche für eine Ausbildung in Deutschland gewinnt, sie vor und während der Ausbildung betreut und dadurch ihren Verbleib in der deutschen Ausbildung unterstützt, zeigt ein Projekt aus dem bayerischen Landkreis Deggendorf.
Bild: Landkreis Deggendorf
Der Landkreis Deggendorf gehört zum Regierungsbezirk Niederbayern und umfasst die drei Städte Deggendorf, Plattling und Osterhofen sowie 23 Märkte und Gemeinden. Rund 114.000 Einwohnerinnen und Einwohner wohnen hier auf 861 km². Gerade in den ländlichen Regionen in Niederbayern wird durch die demographische Entwicklung die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber für die heimischen Ausbildungsplätze weiter sinken, aus dem Mangel an gut ausgebildeten Jugendlichen wird sich voraussichtlich ein Fachkräftemangel entwickeln. Zurzeit kommen dort auf 235 offene Ausbildungsplätze nur sieben unversorgte Bewerberinnen und Bewerber. Um dennoch die Wirtschaftskraft der Region zu erhalten und den Betrieben neue Möglichkeiten der Akquise von Auszubildenden zu demonstrieren, hat das Landratsamt unter der Leitung von Landrat Christian Bernreiter ein Projekt initiiert: Die Deggendorfer setzen seit 2011 auf das Anwerben von ausbildungswilligen Jugendlichen aus Bulgarien. Gesucht wurden Auszubildende für das Handwerk, nämlich Maurer, Straßenbauer, Köche und Bäcker, aber auch Hotelfachleute. Das Regionalmanagement des Landratsamts agierte dabei als "Türöffner" und Organisator des gesamten Projektes. Mit beteiligt wurden die Agentur für Arbeit, die Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, die Industrie- und Handelskammer Niederbayern, die Berufsschule Deggendorf und die Deutsch-Bulgarische Außenhandelskammer.
2011 kamen die ersten Azubis
Eine mehr als 20-jährige Partnerschaft zwischen der Berufsschule Deggendorf und dem Gymnasium für Tourismus im bulgarischen Burgas war Ausgangspunkt der Initiative. Auf dem dortigen Tourismus-Gymnasium, das mit einer Berufsfachschule vergleichbar ist, lernen die Schülerinnen und Schüler Deutsch. Nach ersten Gesprächen der Beteiligten im November 2010 wurde ab dann das Projekt entwickelt und schon im Januar 2011 in Bulgarien vorgestellt. Im Mai 2011 präsentierten die deutschen Firmen ihr Ausbildungsangebot in Burgas, kurz darauf fanden die Vorstellungsgespräche mit den bulgarischen Bewerbern statt. Dass hier nur die männliche Form steht, ist kein Zufall. Tatsächlich scheint eine Ausbildung in Deutschland nur für bulgarische junge Männer infrage zu kommen.
Die Deggendorfer Delegation in Burgas musste nicht nur für die Qualität der Berufsbildung (einschließlich einer hohen Ausbildungsvergütung) in Deutschland werben, sondern insbesondere bei den Eltern der potenziellen Bewerber auch die angemessene Inobhutnahme der jungen Leute garantieren. Nach dem erfolgreichen Zustandekommen von 18 Ausbildungsverträgen wurden eine Reihe Formalitäten durch das Landratsamt erledigt: Anträge für die Arbeitsgenehmigungen, Anträge auf Ausbildungsbeihilfe, die Anmeldung bei der Kommune, die Meldung beim Finanzamt, die Sozialversicherung und die private Haftpflichtversicherung und vieles mehr. Ende Juli 2011 kamen die ersten bulgarischen Azubis nach Deggendorf und im August begann die Ausbildung. Die ersten Hürden waren genommen.
Soziale Integration ist entscheidend
Von Anfang an achtete das Landratsamt sehr darauf, dass die Jugendlichen nicht nur einen Ausbildungsplatz bekommen, sondern auch sozial integriert werden. Die Mitrbeiterinnen und Mitarbeiter kümmerten sich um die Suche nach geeigneten Unterkünften für die Auszubildenden und stellten immer einen Ansprechpartner für alle Fragen rund um die Ausbildung. Herbert Altmann, Regionalmanager im Landkreis, übernahm diese Aufgabe persönlich, auch wenn er als Betriebswirtschaftler keine ausgewiesene Expertise als Berater mitbrachte. Bei privaten Problemen der Jugendlichen standen als Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen Fachleute des Jugendamtes zur Verfügung. Eine Gruppe von bulgarischen Auszubildenden wurde beispielsweise (bis heute) im Internat des nahe gelegenen Klosters Metten untergebracht und dort von den Patres in Empfang genommen. Auch für die Freizeitgestaltung gab es Angebote - zum Beispiel die Vermittlung in die freiwillige Feuerwehr oder in den örtlichen Sportverein.
Die Form der Deggendorfer Auszubildendenakquise stößt auf sehr großes Interesse bei anderen Regionen und Städten.
Von den ursprünglich 18 jungen Bulgaren, die 2011 eine Ausbildung in Deggendorf machen wollten, blieben 11 in der Ausbildung. Beim Jahrgang 2012, bei dem die Zahl der Bewerbungen sich vervielfacht hat, sind es noch 13 von ursprünglich 21. Ein Grund für die vorzeitigen Vertragslösungen war ein Übersetzungsfehler in Burgas. Während mehrere bayerische Sanitärbetriebe SHK-Anlagenmechaniker suchten, wurden in Burgas Stellen für Elektrotechniker ausgeschrieben: ein Übersetzungsfehler, der mehrere Ausbildungsabbrüche zur Folge hatte. Auf die Frage nach eventuell vorhandenen Mentalitätsunterschieden, die sich in der Ausbildung bemerkbar machen könnten, antwortet Herbert Altmann: "Die Bulgaren nicken bei Nein und schütteln bei Ja den Kopf." Er bescheinigt den bulgarischen Auszubildenden eine hohe Motivation während der Ausbildung.
Die Betriebe haben für die erfolgreiche Gewinnung eines Auszubildenden einige Mehrkosten in Kauf genommen. Neben dem Akquiseaufwand mussten sie die Kosten für einen Vorbereitungskurs der Jugendlichen in Burgas, die Fahrtkosten von Burgas nach Deggendorf und die Kosten von jährlich zwei Heimflügen/-fahrten nach Burgas übernehmen.
Das Projekt entstand ohne die Unterstützung durch das bundesweite Programm MobiPro-EU, mittlerweile bezieht es aber Fördergelder aus diesem Topf. Das Sonderprogramm "Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen und arbeitslosen jungen Fachkräften aus Europa" (MobiPro-EU) wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales entwickelt, um den Fachkräftebedarf in Deutschland zu sichern und gleichzeitig einen Beitrag zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit im Herkunftsland zu leisten.
Großes Engagement der Akteure
Die Arbeitslosenquote in Burgas liegt unter fünf Prozent. Die Stadt liegt an der Schwarzmeerküste und hat unter anderem den größten Hafen des Landes. Den Absolventen des Tourismusgymnasiums stände vermutlich auch dort eine berufliche Zukunft offen. Die Beweggründe der Jugendlichen, sich für eine Ausbildung in Deutschland zu entscheiden, sind eher ökonomischer Natur. Allein mit einem kleinen Teil ihres Lehrlingslohns können sie ihre Familien in Burgas unterstützen - das Durchschnittseinkommen in Bulgarien liegt erheblich unter dem deutschen.
Das ausgesprochen hohe Engagement der Akteure wird vor dem Hintergrund eines enormen Personalengpasses verständlich. Dieser macht es notwendig, die Ausbildungsbedingungen möglichst optimal zu gestalten. Das Konzept umfasst Ansätze, die über die Vermittlung in ein Ausbildungsverhältnis hinausgehen und eine gesellschaftliche Integration intendieren: die Zusammenarbeit mit der Schule in Bulgarien und den Eltern, gesicherte gute Wohnverhältnisse, Angebote zur Anbindung an die örtliche Bevölkerung, ein Ansprechpartner und ggf. professionelle Beratung durch das Jugendamt. Hier arbeiten Kammern, Regionalmanagement, Arbeitsagentur, Jugendamt und Betriebe erfolgreich zusammen.
Auch wenn voraussichtlich weniger als zwei Drittel der bulgarischen Auszubildenden ihre Ausbildung hier beenden werden, stößt die Form der Auszubildendenakquise auf großes Interesse bei anderen Regionen und Städten.