21.03.2022
Nachgefragt: Wie gelingt Einrichtungen der Jugendberufshilfe die Digitalisierung?
Ergebnisse und Handlungsempfehlungen
von Sabrina Janz und Franziska Duarte dos Santos
Mit der zunehmenden Digitalisierung verändert sich die Jugendberufshilfe. Doch mit welchen neuen Herausforderungen sehen sich Fachkräfte hier konfrontiert? Wo sehen sie Handlungsbedarfe? Um sich diesen Fragen zu nähern, führten die Projekte Di.Ko. (IN VIA Deutschland) und FAQ.dig.edu (BAG KJS) im Sommer 2021 eine Online-Befragung durch. Denn obwohl die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie für einen Digitalisierungsschub sorgten, ist wenig über den Stand der Digitalisierung in Einrichtungen der Jugendberufshilfe bekannt. In diesem Beitrag werden relevante Ergebnisse der nicht-repräsentativen Erhebung zusammengefasst und Handlungsempfehlungen abgeleitet.
Für die Verbesserung der Teilhabechancen junger Menschen setzen sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V. und IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit Deutschland e. V. seit jeher ein. Sie unterstützen ihre Zielgruppen auch darin, die mit der Digitalisierung einhergehenden Prozesse zu erfassen und aktiv mitzugestalten. Um Anstöße und Orientierungen für die pädagogische Praxis in der digitalisierten Gesellschaft geben zu können, nehmen das von der GlücksSpirale geförderte Projekt Di.Ko. und das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Projekt FAQ.dig.edu gegenwärtige Entwicklungen in der Jugendsozialarbeit in den Blick. Am Beispiel der Jugendberufshilfe in katholischer Trägerschaft führten die Projekte im Sommer 2021 eine quantitative Befragung zu aktuellen Bedarfen und Herausforderungen durch (siehe Infokasten). Der nicht-repräsentativen Online-Erhebung vorangegangen waren eine Reihe von Gesprächen und Interviews mit Mitarbeitenden der Jugendsozialarbeit und Personen, die in wohlfahrtsstaatlichen Verbänden Digitalisierungsprozesse voranbringen. Im November 2021 wurde eine erste Einordnung der Umfrageergebnisse im Rahmen eines Workshops mit Netzwerkpartner*innen und Mitarbeitenden der Jugendsozialarbeit präsentiert und zur Diskussion gestellt. Die Rückmeldungen und Auslegungen der Diskussionsteilnehmer*innen fließen ebenfalls in die hier dargestellten Handlungsempfehlungen für die Praxis mit ein. (1)
Zum Hintergrund und methodischen Vorgehen der Befragung
Die Daten der hier vorgestellten nicht-repräsentativen Online-Befragung wurden mithilfe der Applikation LamaPoll erhoben. Insgesamt nahmen 141 Personen an der Umfrage teil, wovon 101 Personen den Fragebogen vollständig ausfüllten. 34 Prozent der Teilnehmer*innen gaben an, zwischen 21 und 35 Jahren alt zu sein, 31 Prozent zwischen 36 und 50. 34 Prozent gaben an, 51 oder älter zu sein. Die Umfrage richtete sich an Mitarbeitende der Jugendberufshilfe in katholischer Trägerschaft. Um die Anonymität der Teilnehmer*innen zu gewährleisten, wurde auf spezifische Fragen zum Hintergrund der Personen (zum Beispiel in Bezug auf Ausbildung, spezifisches Tätigkeitsfeld, Hierarchieebene oder Trägerorganisation) verzichtet. Da die Umfrage freiwillig angelegt war und von einer beziehungsweise wenigen Einrichtungen mehrere Mitarbeiter*innen teilgenommen haben könnten, lassen sich die Erkenntnisse nicht auf die gesamte Jugendberufshilfe in katholischer Trägerschaft übertragen. Nichtsdestotrotz kann mit den Daten ein wichtiger Einblick in gegenwärtige Entwicklungen gegeben werden.
Um Vergleiche zu bereits veröffentlichten Untersuchungen ziehen zu können, wurden ausgewählte Fragen dem Fragebogen entlehnt, den Hemma Mayrhofer, Florian Neuburg und Christina Schwarzl im Rahmen einer Bestandserhebung zu e-youth work in der Offenen Jugendarbeit in Österreich konzipiert hatten. (2) Ausgangspunkt für die hier diskutierte Befragung war jedoch nicht nur ein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse. Vielmehr sollten am Beispiel der Jugendberufshilfe konkrete Bedarfe erfasst werden, um entsprechend die Maßnahmenplanung der beiden Projekte auszurichten. So setzte sich der Fragebogen aus einer Reihe von Fragen bezüglich Fortbildungsinteressen, infrastruktureller Rahmenbedingungen sowie Fragen zu individuellen Einstellungen zusammen.
Digitalisierung (in) der Jugendberufshilfe: eine Frage der Haltung?
Die Jugendberufshilfe unterstützt junge Menschen im Übergang von der Schule in Beruf und Ausbildung. Mit niedrigschwelligen und inklusiv gestalteten Angeboten leistet sie einen wichtigen Beitrag für die berufliche Förderung sozial benachteiligter und individuell beeinträchtigter junger Menschen. (3) Zu ihren Leistungen zählt auch die Vorbereitung auf die sich verändernden Anforderungen in der digitalisierten Arbeitswelt. Denn gerade Klient*innen der Jugendberufshilfe sind hier aufgrund struktureller Barrieren auf Begleitung angewiesen. Damit die Digitalisierung der Arbeitswelt nicht noch weiter die Ausbildungschancen benachteiligter Jugendlicher verschlechtert, gehören nicht erst seit der Covid-19-Pandemie digitale Formate und Lernräume zum Angebotsspektrum der Jugendberufshilfe. (4) Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie machten den Handlungsbedarf jedoch überdeutlich und stellten Einrichtungen vor die Herausforderung, ihre Angebote kurzfristig und zügig umzustellen. Welche Auswirkungen die Pandemie auf das Handlungsfeld Jugendberufshilfe hatte und welche Lehren sich daraus ziehen lassen, wird im letzten Teil dieses Beitrags knapp umrissen. Zunächst soll es um die Einschätzungen der Fachkräfte gehen.
Plötzlich im Homeoffice - das galt in der Pandemie auch für Fachkräfte der Jugendberufshilfe. Bild: Panitan/
Adobe StockWie in nahezu allen Arbeitsbereichen veränderte die Pandemie den Arbeitsalltag der Fachkräfte: Sie mussten ihre Zusammenarbeit neu organisieren und auf digitale Werkzeuge umsteigen, um den Kontakt zu ihren Klient*innen aufrechtzuerhalten. In den Gesprächen berichteten einige Fachkräfte von Unsicherheiten, die sie bei sich selbst oder ihren Kolleg*innen im Umgang mit digitalen Medien oder in der Umsetzung digitaler Angebote beobachten konnten. Diese Unsicherheit habe in der Regel mit zunehmender Erfahrung abgenommen, wodurch sich die Einstellung gegenüber digitalen Tools und Formaten verändert habe. Vor dem Hintergrund der Pandemie wurden also auch Erfahrungen gemacht, die sich positiv auf die "Haltung" auswirkten. Die Offenheit gegenüber dem Einsatz digitaler Instrumente und Experimentierfreude wurden als wesentliche Voraussetzungen betrachtet, um innovative digitale Formate in Einrichtungen nachhaltig zu verankern. Diese offene Haltung drücke sich durch ein Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten aus, mit digitalen Technologien umzugehen. Auf der Leitungsebene mache sie sich durch den Aufbau einer konstruktiven Fehlerkultur in der Organisation bemerkbar. Aufgrund der Bedeutung, die der Haltung von Fachkräften und Leitungspersonen in den Vorgesprächen zugeschrieben worden war, zielten einige Fragen auf die Einstellung der Teilnehmer*innen ab. Zunächst wird im Folgenden die Selbsteinschätzung der Umfrage-Teilnehmer*innen vorgestellt. Im Abschnitt "Digitalisierung als Gemeinschaftsaufgabe" werden Wege aufgezeigt, wie Teams eine solche Haltung entwickeln können.
Abb. 1: Frage, leicht abgeändert, aus Mayrhofer, Neuburg & Schwarzl (2017, Grafik 15)
Über die Hälfte der Teilnehmer*innen beschrieb sich als grundsätzlich offen gegenüber digitalen Technologien. 18 Prozent stuften sich als "nicht begeistert" ein und gaben an, digitale Technologien zu nutzen, wo ihnen deren Einsatz sinnvoll erscheine. 17 Prozent beschrieben sich selbst als "sehr technikaffin". Lediglich eine Person gab an, digitale Technologien im beruflichen Kontext so weit wie möglich zu meiden. (5) Doch wie bewerteten die Teilnehmenden der Online-Erhebung ihre eigenen Kompetenzen hinsichtlich digitaler Technologien?
Der Großteil bewertete die eigene Kompetenz als "gut". In Bezug auf die in Abbildung 2 angeführte Frage zeigen sich altersspezifische Unterschiede. Vor allem jüngere Teilnehmer*innen bewerteten ihre eigene Kompetenz hinsichtlich digitaler Technologien hauptsächlich als "sehr gut" oder "gut".
Auch wenn die bisherigen Ausführungen die individuelle Ebene fokussieren, bedeutet dies nicht, dass die Verantwortung für gelingende Digitalisierungsprozesse der Jugendsozialarbeit allein den Fachkräften, deren Haltung und Fähigkeiten obliegt. Denn die institutionellen Rahmenbedingungen und die technische Infrastruktur stellen, wie es eine Fachkraft in einem Vorgespräch formulierte, das "A und O" dar. Nur wenn die (technischen) Rahmenbedingungen stimmen, können positive Erfahrungen mit digital gestützten sozialpädagogischen Maßnahmen gemacht werden.
"Das A und O": Rahmenbedingungen und Ausstattungsfragen
Die Mehrzahl der Teilnehmer*innen ist der Auffassung, dass Fachkräften nicht genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um sich im Bereich Digitalisierung weiterbilden zu können.
Abb. 4: Frage, leicht abgeändert, aus Mayrhofer, Neuburg & Schwarzl (2017, Grafik 40)
Neben zeitlichen Ressourcen sind Fachkräfte auch auf die technische Infrastruktur (zum Beispiel sichere Videokonferenztools, eine stabile Verbindung, Beamer) in Einrichtungen angewiesen. 21 Prozent gaben jedoch an, dass sie die am Arbeitsplatz zur Verfügung stehenden technischen Ressourcen als "etwas zu wenig" und 11 Prozent gar als "deutlich zu wenig" bewerteten. Die Mehrheit der befragten Personen beurteilen die technische Ausstattung als "gut" oder "ausreichend". Lediglich 7 Prozent bewerteten diese als "sehr gut". Berücksichtigt man die Größe der Einrichtung, zeigt sich, dass vor allem Teilnehmer*innen, die in einer Einrichtung mit weniger als 10 hauptberuflichen Mitarbeitenden arbeiten, die technischen Ressourcen am Arbeitsplatz als "gut" oder "sehr gut" einstuften.
In der Diskussion der Umfrageergebnisse im Workshop kritisierten die Teilnehmenden daneben insbesondere gängige, projektbasierte Förderlogiken. So sei in der Regel die Refinanzierung von erprobten innovativen Konzepten und Ansätzen in diesen nicht inbegriffen. Dadurch ginge relevantes Wissen oftmals verloren und die nachhaltige Verankerung von Angeboten und Maßnahmen werde erschwert.
Digitalisierung als Gemeinschaftsaufgabe verstehen
Neben den technischen Rahmenbedingungen fragte die Erhebung ab, wie die Teilnehmer*innen ihre institutionelle Umgebung bewerten. Schließlich ist die Kompetenzentwicklung und Haltung einzelner Teammitglieder eng an die Organisationskultur und die Einstellung der Leitungsebene sowie des restlichen Teams geknüpft.
Abb. 5 Frage, leicht abgeändert, aus Mayrhofer, Neuburg & Schwarzl (2017, Grafik 16)
Die Mehrheit der Teilnehmer*innen gab an, dass die Leitungsebene ihrer Einrichtung und ihre Kolleg*innen den Einsatz digitaler Technologien als wichtig in der Arbeit mit Jugendlichen erachten. Dennoch stimmten über 80 Prozent der Aussage "sehr" oder "eher" zu, dass Digitalisierungsprozesse stark von dem persönlichen Engagement einzelner Teammitglieder abhängen. (6) Dies ist umso erstaunlicher, als dass die Mehrheit ebenfalls angab, dass digitale Angebote zunehmend von Fördererseite verlangt würden.
Welche Rückschlüsse lassen sich aus diesen Befunden ziehen? Engagierte, technikaffine Teammitglieder unterstützen Einrichtungen darin, Digitalisierungsprozesse voranzubringen und können wichtige Impulse für kreative Lösungen geben. Dieses Engagement sollte folglich die entsprechende Anerkennung erfahren. Auch formal könnte ihnen diese Rolle zuerkannt werden, indem ihnen, falls erwünscht, ein neues Aufgabenfeld mit zeitlichen Ressourcen übertragen wird. Zugleich ist das Voranbringen von Digitalisierungsbestrebungen eine Gemeinschaftsaufgabe und kann nicht Einzelpersonen aufgebürdet werden. Entsprechend sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, um alle Mitarbeitenden zu involvieren und zur Auseinandersetzung mit Digitalisierungsthematiken anzuregen. Weiterbildungsangebote und Fortbildungsreihen im Bereich der Digitalisierung sollten daher mitunter für ganze Teams konzipiert werden.
Aneignungskompetenzen fördern und Ressourcen für (in)formelle Lernwege bereitstellen
Die Umfrageergebnisse, wie auch die Untersuchungen von Mayrhofer, Neuburg und Schwarzl, zeigen, dass die Wissensaneignung im Bereich digitaler Technologie bislang vor allem informell stattfindet. (7)
Abb. 6: Mehrfachauswahl möglich. Häufigkeit in Prozent bezogen auf Anzahl der Teilnehmer*innen. Frage, leicht abgeändert, aus Mayrhofer, Neuburg & Schwarzl (2017, Grafik 17)
92 Prozent der Fachkräfte gaben an, sich neues Wissen und Fertigkeiten in der Regel "durch Ausprobieren" ("Learning by Doing") anzueignen. 69 Prozent nannten Kolleg*innen und 52 Prozent Youtube-Tutorials als Quelle der Wissensaneignung. Erst an fünfter Stelle kommen Schulungen, die von der Arbeitgeberin/vom Arbeitgeber bezahlt werden (43 Prozent). Solch informelle Wege sollten von Kostenträger*innen und Leitungsebenen anerkannt werden. Als zeitliche und personelle Ressource ist dieses Learning by Doing in Projekt-/Förderanträgen oder Stellenbeschreibungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollten Einrichtungen die informellen Lernwege der Mitarbeitenden begleiten. Im Artikel "Digitalisierung als soziale Innovation verstehen und nutzen" stellt der Sozialwissenschaftler Bastian Pelka solche Ansätze vor. Da Thematiken rund um die Digitalisierung von Vielen, wie er schreibt, als komplex und schwer verständlich angesehen werden, müsse zunächst mit dieser Wahrnehmung gebrochen werden. Pelka plädiert daher für die Einführung sogenannter "Digitalisierungsvorträge". (8) Turnusmäßig könne ein Teammitglied ein kurzes Referat zu einer bestimmten Technologie oder einem Tool halten. Dabei sei nicht entscheidend, diese bereits besonders gut zu beherrschen. Die Digitalisierungsvorträge sollten, so der Autor, lediglich einem Einstieg in die Debatte dienen, ob das Tool hilfreich für die Klient*innen oder die eigene Arbeit sein könnte. "Mit der abwechselnden Vergabe des Digitalisierungsvortrags an alle Teammitglieder sollte versucht werden, jedes Mitglied in eine aktive Such- und Reflexionsrolle zu versetzen." (9) Auf Basis der hier vorgestellten Befunde sollten Tools nicht lediglich vorgestellt und diskutiert, sondern gemeinsam ausprobiert werden. Auch auf Verbands- oder Einrichtungsebene ließe sich ein ähnlicher Ansatz etablieren, so Pelka, und eine, wie er es nennt, "Monitoringstelle" aufgebaut werden. Diese sei dafür zuständig, technische Entwicklungen zu beobachten, relevante Technologien zu identifizieren, Wissen zusammenzutragen und zur Verfügung zu stellen. (10)
Dennoch können die beispielhaft skizzierten Ansätze nicht den Einbezug von externer Expertise und die Kooperation mit anderen Professionen, wie etwa der Medienpädagogik oder Informatik, ersetzen. In der Diskussion der Ergebnisse konstatierten die Teilnehmer*innen des Workshops, dass sich in kaum einem anderen Bereich so viel Wissen informell und selbstverantwortlich angeeignet werden müsse, wie im Bereich digitaler Technologien und medienpädagogischer Didaktik. Daher plädierten die Teilnehmer*innen des Diskussionsworkshops dafür, dass nicht nur diesen informellen Lernwegen mehr Wertschätzung zukommen sollte, sondern auch mehr Ressourcen für Weiterbildungsangebote bereitgestellt werden. Schließlich gaben 58 Prozent an, dass Fachkräften in ihren Einrichtungen nicht genügend zeitliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um sich im Bereich der Digitalisierung weiterzubilden (siehe Abb. 3). Aufgrund der Dynamik des digitalen Wandels und der stetigen Entwicklung im Bereich des Digitalen werden sich Fachkräfte in Zukunft stetig weiterbilden müssen. (11) Sie sollten folglich sowohl darin unterstützt werden, Aneignungskompetenzen auszubilden, als auch Möglichkeiten eröffnet bekommen, um formelle Lernwege zu beschreiten.
Auch junge Menschen können Fachkräften Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien vermitteln. In den der Umfrage vorausgegangenen Gesprächen wurde wiederholt betont, dass die Expertise von Jugendlichen in der methodischen Entwicklung pädagogischer Angebote und Maßnahmen einbezogen werden sollten. Auffallend ist jedoch, dass in der Online-Befragung lediglich 7 Prozent angaben, sich über Jugendliche Wissen und Fertigkeiten anzueignen (siehe Abb. 6). Partizipative Formate im Bereich der Digitalisierung sollten entsprechend in der Jugendberufshilfe weiter erprobt und beworben werden.
Digitalisierungsprozesse voranbringen: Perspektiven von ‚außen‘ einholen
Um Digitalisierung in der Wohlfahrt zu avancieren, wurden multiprofessionelle Netzwerke und die Arbeit mit externen Personen beziehungsweise Stellen in den Vorgesprächen der Umfrage als ergiebig beschrieben. Folglich fragte die Online-Erhebung vorangegangene Kooperationen ab.
Abb. 7: Mehrfachauswahl möglich; Häufigkeit in Prozent bezogen auf Anzahl der Teilnehmer*innen
Da 35 Prozent angaben, noch mit keiner externen Person oder Stelle kooperiert zu haben, wären die Vorteile von Kooperationen in der Jugendberufshilfe stärker zu bewerben. 37 Prozent gaben an, mit Datenschutzbeauftragten kooperiert zu haben. Etwa 28 Prozent mit medienpädagogischen Fachkräften. Unter "Andere" nannten die Teilnehmer*innen Schulen und die Polizei (vgl. Abb. 7).
Damit Einrichtungen IT-Kenntnisse oder methodisch-didaktisches Know-how für die Entwicklung pädagogischer Angebote erhalten, empfiehlt Bastian Pelka in dem bereits genannten Artikel, Kontakte zu Hochschulen zu knüpfen. Wohlfahrtseinrichtungen können als Einsatzort studentischer Lehrprojekte fungieren und Studierende können beispielsweise anhand von Seminararbeiten einen Lösungsansatz für vorgefundene Probleme aufzeigen. (12) Solche kooperativen Ansätze scheinen zunehmend Verbreitung zu finden, um Digitalisierungsprozesse in der Wohlfahrt voranzubringen. (13)
Und in Zukunft? Forderungen und Aufträge an die Jugendberufshilfe, die bundesweiten Zusammenschlüsse der Jugendsozialarbeit und der Wohlfahrtspflege
In den vergangenen Monaten machten die Bedingungen der Pandemie infrastrukturelle Defizite und die Auswirkungen digitaler Ungleichheiten besonders sichtbar. Auf die unterschiedlichen Aspekte digitaler Benachteiligung und die Bedarfe in der pädagogischen Praxis wiesen zivilgesellschaftliche Akteur*innen in den letzten zwei Jahren wiederholt hin. Kürzlich forderten verschiedene Organisationen, darunter auch der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit, einen "Digitalpakt Kinder- und Jugendarbeit". Wie wichtig die Forderung an die neue Bundesregierung nach einer "Fortbildungsoffensive für haupt- und ehrenamtliche Akteur*innen" ist, machen auch die Umfrageergebnisse sehr deutlich. (14)
Darüber hinaus zeigten die Teilnehmer*innen der Online-Befragung eine besondere Sensibilität für Aspekte sozialer Ungleichheit und Teilhabebeschränkungen im digitalen Raum. (15) Wie Abbildung 8 zu entnehmen ist, sind über 90 Prozent der Meinung, dass sich die bundesweiten Zusammenschlüsse der Wohlfahrtspflege besonders oder eher um Lobbying kümmern sollten, das sich um die Ausstattung sozial benachteiligter Jugendlicher bemüht. Darüber hinaus machten Rückmeldungen zur Befragung auf soziale Ungleichheiten und Teilhabeaspekte aufmerksam:
"Sehr wichtiges Thema! Wir haben gemerkt, dass die technische Voraussetzung sowohl bei uns am Standort als auch bei den einzelnen Teilnehmer*innen nicht die beste ist. Bei uns fehlt es an neueren und vor allem schnelleren PCs, Smartboards, Tablets etc. und bei vielen Teilnehmer*innen geht es über ein semi funktionierendes Handy mit wenig Datenvolumen meist nicht hinaus."
"Sozialschwachen Jugendlichen müssen unter bestimmten Voraussetzungen einfache Tablets zur Verfügung gestellt werden."
(Zitate aus Kommentaren zur Frage "Haben Sie Anmerkungen oder Kritik zur Befragung?")
Diese Aussagen verdeutlichen, dass nicht nur die technische Infrastruktur in Einrichtungen der Jugendsozialarbeit auszubauen ist. Damit junge Menschen digitalisierungsbezogene Kompetenzen ausbilden können, müssen sie, wie es die BAG KJS in ihrem Positionspapier fordert, mit leistungsfähigen Endgeräten und der nötigen Software ausgestattet werden. (16)
Gerade junge Menschen aus bildungsfernen Elternhäusern drohen den beruflichen Anschluss zu verlieren, sollten sie die Angebote der Jugendberufshilfe nicht wahrnehmen können. Die Chancen ohnehin sozial benachteiligter Jugendlicher auf einen passenden Ausbildungsplatz verschlechtern sich auch dadurch, dass viele Unternehmen in den vergangenen Jahren ihre Ausbildungsprogramme verkleinerten. (17) Auch konnten während der pandemiebedingten Einschränkungen in vielen Branchen Berufspraktika nicht stattfinden, die Klient*innen der Jugendberufshilfe oftmals einen Einstieg in eine betriebliche Ausbildung verschaffen. (18)
Dieser kurze Abriss zeigt auf, mit welchen (neuen) Herausforderungen sich die Jugendberufshilfe konfrontiert sieht. Träger und Einrichtungen sind nun gefragt, die Erfahrungen, die in Zeiten der pandemiebedingten Einschränkungen gemacht wurden, systematisch aufzuarbeiten. Wenngleich sich manche Jugendliche den Angeboten komplett entzogen, fanden viele Fachkräfte kreative (digitale) Lösungen, um Kontakte zu Klient*innen herzustellen beziehungsweise aufrechtzuerhalten. Einige dieser aus der Not heraus entstandenen Ansätze gehen flexibler und individueller auf die Bedarfe der einzelnen Jugendlichen ein, als vor der Pandemie denkbar gewesen wäre (zum Beispiel Nutzung neuer Kommunikationskanäle, flexiblere Zeiteinteilung und Treffen außerhalb der Einrichtung). Fachkräfte berichteten auch, dass einige Jugendliche in der Zeit des Lockdowns eine höhere Verbindlichkeit zeigten und beispielsweise pünktlicher als gewöhnlich im Online-Unterricht erschienen. In der persönlichen Begleitung und Beratung in der Berufsorientierung wiederum sei es, nach Ansicht der Gesprächspartner*innen, nutzbringend, wenn vorab ein Kontakt zu den Klient*innen bestanden hatte. Fortlaufende Beratungsangebote wurden auch in der Befragung von rund 45 Prozent als gut umsetzbar bewertet. Allgemein lässt sich festhalten, dass es keine allumfassende Lösung gibt, die sich auf alle Maßnahmen der Jugendberufshilfe übertragen lässt und über die jede*r Einzelne aus der heterogenen Zielgruppe zu erreichen ist. Vielmehr muss die Debatte über die unterschiedlichen Formate (digital, analog, hybrid) und deren Möglichkeiten fortgeführt werden. Hier sind Träger gefragt, den Dialog mit und zwischen Einrichtungen zu fördern und aufrechtzuerhalten. Dieser sollte jedoch nicht nur genutzt werden, um sich über gelungene Beispiele auszutauschen. Hürden und Schwierigkeiten müssen ebenfalls thematisiert werden. Schließlich darf Digitalisierung nicht zum Selbstzweck verkommen – es sollte stets erörtert werden, ob sich durch den Einsatz digitaler Technologien die Qualität der pädagogischen Intervention verbessert.
Kurzgefasst: 10 Handlungsempfehlungen für die Jugendberufshilfe
• Adäquate Förderlogiken schaffen: Nachhaltige und langfristige Finanzierungsmöglichkeiten gewährleisten und Refinanzierung von innovativen Projekten ermöglichen
• Technische Ausstattung in Einrichtungen sicherstellen
• Ressourcen für Weiterbildungsangebote für Fachkräfte bereitstellen
• Informelle Lernwege anerkennen
• Aneignungskompetenzen von Fachkräften stärken
• Neue Lern- und Austauschformate ausprobieren
• Kooperationen und Netzwerke mit anderen Fachdisziplinen aufbauen
• Multiprofessionelle Teams zusammenstellen
• Partizipative Formate mit Jugendlichen erproben
• Diskurs über die Lehren der Jugendberufshilfe in der Pandemie führen